Ein Blick in den Maschinenraum
„Ich mache was mit Büchern“ – insbesondere Außenstehende assoziieren das mit inhaltlich anspruchsvollen Themen und glamourösen Auftritten. Doch um die Buchbranche am Laufen zu halten, braucht es auch die unzähligen Büromenschen mit ihrer repetitiven, wenig programmatischen Arbeit, die ihre kulturellen Ambitionen anderswo ausleben.
Wolfgang Buechs arbeitet schon fast unanständig lange, wie er selbst sagt, als Mediengestalter beim unlängst geschrumpften, aber immer noch zweitgrößten Frankfurter Publikumsverlag Campus – Wolfgang denkt in Programmhalbjahren: also seit mehr als 30 Vorschauen, für deren Produktion er verantwortlich ist. 1998 – im direkten Anschluss an eine Umschulung nach einem abgebrochenen Soziologiestudium – heuerte er beim Verlag an und seitdem hat er „viele, sehr viele“ Kästchen verschoben und Pixel gestempelt – anfangs noch in QuarkXPress, dann in Adobe InDesign.
„Man kann so einen Job als Fachkraft für Desktop-Publishing durchaus so lange machen – zumal man ja immer was dazu lernt“, sagt Wolfgang. „Allerdings nur als Brotjob und besser nicht in Vollzeit, sonst bekommt man einen Mausarm und geht an der Routine zugrunde.“ Auf die Frage, ob ihm eine typische Anekdote aus den vielen Jahren seiner Tätigkeit einfällt, erwidert er: „Ehrlich gesagt passiert da nicht so viel Episches – manchmal musst du deinen Rechner retten, organisierst ein Fotoshooting, oder der Druckereikontakter aus dem Westerwald lädt dich bei der Druckabnahme zum Spargelessen ein.”
Der Eingabeermüdung kommt man am besten bei, indem man die Maus gegen ein Stift-Tablet eintauscht, und für die Selbstachtung ist es hilfreich, dass die Buchbranche zumindest einigermaßen sinnvolle (Werbe-)Inhalte garantiert – für Produkte wie Kosmetika, Leberwurst oder Schusswaffen die Werbetrommel zu rühren, wäre für Wolfgang ein weitaus größeres Problem. Und glücklicherweise sind die überdurchschnittlich bebrillten Verlagskolleginnen- und kollegen eine angenehme Peergroup.
Wie etliche dieser Kolleginnen und Kollegen, die nach Feierabend als DJ, Kleinverleger oder Musikrezensenten semiprofessionelle (je nach Sichtweise auch: eskapistische) Kulturproduktion betreiben, hat Wolfgang seine Gestaltungsambitionen von der Lohnarbeit entkoppelt: Er zeichnet Comics, die seinen und den gesellschaftlichen Alltag dokumentieren, und veröffentlicht diese im Internet. Während eines Sabbaticals im Jahr 2005 ging sein Webcomic „zuhause während der digitalen revolution“ online: www.digirev.de. Dieses ungewöhnliche Format ist wie ein Scrabblebrett aufgebaut, sodass man sich kreuz und quer durch das mittlerweile 2.634 Panels starke Bilderlabyrinth manövrieren kann.
Nachdem der Webcomic online gegangen war, passierten unerwartete Sachen: 2006 kam das Angebot, regelmäßig Vier-Bilder-Strips aus digirev.de auf der gepflegten Comicseite der Berliner Wochenzeitung „Jungle World“ zu platzieren. Der Spagat zwischen verwirrender Hyperlinkstruktur und klassischem Zeitungsstrip gelang glatt. Es folgten Einladungen zu Comicausstellungen in Berlin und anderswo, und die gesteigerte Sichtbarkeit und damit einhergehende wachsende Popularität führten zu weiteren unerwarteten Entwicklungen: So gibt es beispielsweise in Berlin einen Fan, der sich Wolfgangs Zeichnungen auf den Unterarm tätowieren ließ – mit solchem buchstäblich unter die Haut gehenden Ruhm war nicht zu rechnen.
Dann kam ein Kind auf die Welt, das den Feierabend-Output bis heute dämpft, aber das macht nix: 2011 erhielt digirev.de den damals neu geschaffenen „Kurt-Schalker-Preis für graphisches Blogen“ (sic!), eine wunderbare Auszeichnung aus der seit den Nullerjahren fleißig gewachsenen deutschsprachigen Webcomic-Szene. 2012 erschien ein Best-of der druckbaren Digirev-Strips im ebenfalls wunderbaren Mainzer Ventil Verlag (Home of the Poplinke), denn: Buchdruck ist eben immer noch die Krönung für die eigene Literatur, so Wolfgang.
Als nächstes folgten bundesweit Beamer- und Livemusik-unterstützte Lesungen mit den Kölner Comic-Kollegen Leo Leowald und 18 Metzger; und gleich zweimal wurde Wolfgang vom Frankfurter Veranstaltungskollektiv „text&beat“ eingeladen, um vor heimischem Publikum im Club Orange Peel seine Strips zu präsentieren. Manchmal gingen diese Auftritte sogar mit Bezahlung aus Kulturfördertöpfen einher, ansonsten trifft für die Sequential Art erst recht die Formel zu: Underground = Ehrenamt. Aber auch das ist nicht schlimm, denn für den Lebensunterhalt gibt es ja den Brotjob in Festanstellung.
Der Alltag in Bockenheim, wo Wolfgang nicht nur arbeitet, sondern auch lebt, hält wiederum seine eigenen Herausforderungen bereit: Über das hiesige neoliberale Rattenrennen hinaus enttäuschte ihn seine Wahlheimat zuletzt durch das Platzenlassen des Umnutzungs-Wohnprojekts „Philosophicum“, bei dem er mitgebastelt hatte. Dieses Jahr ist das große Ärgernis die desolate Hortplatzsituation im Stadtteil, die auch seinen inzwischen sechsjährigen Sohn betrifft. Aber naja: „Anderswo werden die Leute von einem Schlauchboot ins Mittelmeer getreten“, meint er lapidar. Bis sich der Buchhandel nicht mehr für sauber gesetzte Verlagsvorschauen und Werbemittel interessiert, egal ob digital oder analog, wird es jedenfalls wahrscheinlich noch eine Weile dauern. Und so lange braucht die Buchbranche auch noch Wolfgang Buechs und die anderen fleißigen Arbeiter im Maschinenraum.
von Christina Mohr (26.05.2015)