„Wir sind schließlich nicht Thalia.“
Die Karl Marx Buchhandlung in der Bockenheimer Jordanstraße ist ein ganz besonderer Laden. Das lässt sich an vielem festmachen. Zum Beispiel daran, dass unlängst BooksterIn Saskia Hennig von Lange darauf bestand, genau dort fotografiert zu werden. Aber auch daran, dass sich das Team nicht einzeln, sondern nur im Doppel porträtieren ließ.
„Fräulein Barbara Brinkmann, Lektorin, und Herr Joseph Fischer, Lektor, dem Notar von Person bekannt. Die Erschienenen erklärten, eine Gesellschaft beschränkter Haftung gründen zu wollen, und stellten den Gesellschaftsvertrag wie folgt fest: Die Firma lautet Karl Marx Buchhandlung, Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Sitz der Gesellschaft ist Frankfurt am Main. Gegenstand des Unternehmens ist der Handel mit Büchern und sonstigen Druckerzeugnissen, insbesondere der Werke von Karl Marx und der an dessen Theorie orientierten modernen sozialwissenschaftlichen Literatur.“ Mit diesem Text wurde 1971 die Betreiber-GmbH der Karl Marx Buchhandlung (KMB) beurkundet, in der in den 1970er-Jahren während der Studentenbewegung neben unserem ehemaligen Außenminister auch Daniel Cohn-Bendit, Tom Koenigs und Johnny Klinke arbeiteten.
Für ganze Generationen von KundInnen ist die als Kollektiv gegründete Buchhandlung Wohnzimmer und Anlaufstelle für anspruchsvollen Lesestoff zugleich. Dass die KMB eine echte Frankfurter Institution ist, steht außer Frage – und deshalb bekommt sie mit dem ersten Bookster-Doppelporträt auch eine Extrawurst gebraten. Freundlich, aber bestimmt machte nämlich Verena Schaedel klar, dass es kein Bookster-Porträt von ihr als alleiniger Geschäftsführerin geben wird – „albern“ sei dieser Gedanke, und Michael Müller für den Laden mindestens so wichtig wie sie. Das Team zählt, zu dem auch noch Micha Hintz und Aushilfe Markus Zimmermann gehören: In dieser Haltung drückt sich aus, wofür die KMB seit 45 Jahren steht.
Schaedel wurde in Österreich geboren, lebt aber seit ihrem fünften Lebensjahr in Deutschland, hat einen M.A.-Abschluss für Germanistik und Politikwissenschaften und war schon als Studentin Kundin der Karl Marx Buchhandlung. „Im Grunde habe ich mein gesamtes Berufsleben in der Jordanstraße verbracht – übrigens ganz wie das PEN-Mitglied Peter Kurzeck.“ Sie arbeitete in den ansässigen Kneipen (Tannenbaum, Pelikan, Pielok) und besorgte sich ihre Studienliteratur – Schwerpunkt Avantgarde – in der KMB. Mit der damaligen Betreiberin Barbara Determann, die 2001 die Autorenbuchhandlung Marx im Grüneburgweg gründete, steht sie noch heute in engem Kontakt. Nach dem Studium fiel Schaedel der Absprung vom Kneipen-Arbeitsleben schwer, doch sie schaffte ihn dank einer Umschulung zur Buchhändlerin. „Seit 1991 bin ich in der Karl-Marx. Ein Leben ohne den Laden ist für mich nur schwer vorstellbar.“ Seit 2001 ist Schaedel Geschäftsführerin; die Zeit, bis Michael Müller kam, sei hart gewesen – seine Einstellung ergab sich indes zufällig, so Schaedel: „Meine Kollegin und ich bekamen mit, wie Micha – als Kunde! – einem Freund ein dickes Buch von Eric Hobsbawm empfahl, das dieser dann auch kaufte. Wir waren begeistert, sprachen Micha an und boten ihm einen Job an, falls er mal einen suchen würde.“ 2003 war es dann so weit, nach vielen Jahren als Plattenverkäufer (bei No. 2 Records in Sachsenhausen und Music-Arts in Hanau) heuerte Müller in der KMB an. „Ich verkaufe gerne Dinge“, sagt Müller, der das Renommee seines Berufs allerdings nicht allzu hoch ansiedeln mag: „Buchhändler sind nicht per se bessere Menschen. Ich solidarisiere mich auch mit Supermarkt-KassiererInnen!“ Lachend bezeichnet sich Müller als „Blender“: „Ich habe nie zu Ende studiert – außer meinem Abitur hab' ich nichts vorzuweisen!“ Das ist natürlich eine maßlose Untertreibung, denn, siehe oben, Müllers Beratungskompetenz auf komplizierten Fachgebieten ist sprichwörtlich.
Die Zuständigkeiten in der KMB sind klar verteilt: Verena Schaedel kümmert sich um die Belletristik, Michael Müller um die Wissenschaft, „und wir putzen selbst!“ Als unabhängige Buchhandlung genießt die KMB das Privileg individueller Bestückung: Die Karl-Marx'ler kennen ihre Kunden so gut, dass sie von manchen Titeln nur ein Exemplar einkaufen, von dem sie wissen, dass es Professor X interessieren könnte. Stapelware und die notorische Spiegel-Bestsellerliste sucht man in der Jordanstraße vergebens, „wir sind schließlich nicht Thalia“. Ebenso wenig findet man Ratgeberregale, Koch- und Sportbücher. Die selbst gesetzten Schwerpunkte liegen auf kleinen und linksgerichteten Verlagen, Kinderbüchern, Belletristik, Lyrik, AutorInnen abseits des Mainstreams – und natürlich Semesterliteratur. „Es wurde seinerzeit hart dafür gekämpft, ab Ende der 1980er-Jahre die Universität beliefern zu dürfen“, sagt Verena Schaedel und gibt zu, dass sie ziemlich gebangt habe, als die sozialwissenschaftliche Fakultät von Bockenheim ins Westend zog. Der große Umsatzeinbruch blieb glücklicherweise aus, die StudentInnen kommen nach wie vor: „Wir betreuen die Erstsemester wirklich gern und beobachten die Studis ja mal gut fünf Jahre und sehen, wie sie sich entwickeln. Wir sind so was wie eine ausgelagerte Uni-Kita“, witzeln Schaedel und Müller.
Dass so viele junge Leute den Weg in die Karl Marx Buchhandlung finden, freut die beiden, denn Musealisierung liegt ihnen fern. Bei aller studentenbewegten Vergangenheit und linker Tradition: „Wir sind weder die KP noch der Laden der reinen marxistischen Lehre, wir sind heterodox“, so Müller. Dass die Goethe-Universität anno '68 mal Karl-Marx-Uni hieß und deshalb auch der Laden so genannt wurde, ist natürlich ein starker Link in die Geschichte – aber kein Grund, den Namen zu ändern: „Wie sollten wir sonst heißen? Adornos Bücherinsel vielleicht oder Buch und Wein, ach, oder noch besser: Rauch und Buch – Schaedel und Müller feixen angesichts der Sitte, dass im Geschäft geraucht werden darf (jedenfalls die Angestellten). Ganz ernsthaft: Am Namen wollte noch niemand drehen. Die Karl Marx Buchhandlung hat eine 45-jährige Geschichte, eine Änderung würde zutiefst verunsichern, so Schaedel. Dass der Name erklärungsbedürftig ist, streiten Müller und Schaedel nicht ab: „Vor allem für Ostdeutsche ist der Name extrem seltsam und schwer zu begreifen. Wir haben schon mal einen Brief aus Ostdeutschland mit der Anschrift „Karl-Chemnitz-Buchhandlung“ bekommen!“ Internationale Touristen finden den Namen dagegen großartig: „Unsere Tüten sind wahnsinnig begehrt – vielleicht sollten wir mal T-Shirts bedrucken lassen!“ In einem japanischen Reiseführer über Deutschland ist die KMB schon vertreten, unlängst ist eine Gruppe chinesischer Marxismus-StudentInnen da gewesen, die Hunderte Fotos im Laden und von der Fassade gemacht haben. Und dann sind da natürlich die Alt-Achtundsechziger, die Nostalgiker: „Dauernd kommen 60- oder 70-Jährige, die wissen wollen, wo die Regale stehen, die „der Joschka gebaut hat“, oder welche Ecke von Tom Koenigs eingerichtet wurde, auch nach der legendären Espressomaschine (Stichwort für HistorikerInnen: Libresso) wird gesucht“, so Schaedel. „Dann fragen wir uns manchmal schon, ob die Leute nicht mitbekommen haben, dass sich in 40 Jahren auch mal was ändert.“ Was sich in der Tat in den vergangenen Jahren verändert hat, ist die Buchhandlungsdichte in Bockenheim: „Die 1980er waren glorreiche Zeiten“, erinnert sich Schaedel, „es gab bestimmt acht Buchhandlungen hier“, darunter Melusine Huss' legendäre Universitätsbuchhandlung und einige Antiquariate. Die Karl Marx Buchhandlung ist neben wenigen anderen geblieben, und auch wenn Verena Schaedel recht unsentimental befindet, dass es die KMB auch in jeder anderen universitär geprägten Stadt geben könnte, sind sich Michael Müller und sie dann doch einig: „Wir haben die beste Kundschaft der Welt!“
von Christina Mohr (21.04.2015)