Neues Jahr, neues Land
Von der Arabischen Welt über Island bis Indonesien: Seit elf Jahren betreut Simone Bühler die Auftritte der Gastländer auf der Frankfurter Buchmesse. Was bedeutet das und worum geht es dabei eigentlich? Von Höhepunkten und Auftritten mit Schatten.
Sie fördern die Literatur und den Kulturaustausch, haben jedes Jahr eine neue spannende Aufgabe mit interessanten Menschen und reisen häufig. Hand aufs Herz: Das ist doch ein Traumjob, oder?
Es ist ein Job, der mir unglaublich viel Spaß macht, er ist abwechslungsreich, vielfältig, spannend – aber auch anstrengend. Denn ich darf nicht nur, ich muss mich auch jedes Jahr auf ein neues Land, neue Partner und neue Formen der Kommunikation einstellen. Dadurch gibt es wenige Routinen.
Wie arbeiten Sie sich in die Länder und ihre Literatur ein? 2015 wird Indonesien Ehrengast sein. Haben Sie als Erstes bei Wikipedia nachgeschaut?
Ja, das habe ich tatsächlich auch getan. Zu meinen ersten Schritten gehört es immer, mir anzuschauen, welche Übersetzungen aus dem Land bislang in Deutschland vorliegen, wie die Verlage aufgestellt sind und wie die Branche organisiert ist, und natürlich zu lesen.
Skizzieren Sie doch einmal den typischen Ablauf von der Bekanntgabe des Ehrengastes bis zu seinem Buchmessenauftritt.
Bis es zur Vertragsunterzeichnung zwischen der Buchmesse und dem Gastland – meist ist ein Ministerium zuständig – kommt, sind wir bereits mehrere Jahre im Austausch. Wenn der Vertrag steht, wird das Organisationskomitee aufgestellt, das sind die Menschen, mit denen meine Kollegin Karina Goldberg und ich drei Jahre lang sehr eng zusammenarbeiten. Eine wichtige Etappe ist die Pressekonferenz ein Jahr vor dem Auftritt, auf der Logo und Slogan vorgestellt werden. Der literarische Startschuss fällt auf der Leipziger Buchmesse. Im Juni steht dann das Literatur- und Kulturprogramm und wir wissen, wie der Pavillon aussehen wird und welche Autoren nach Frankfurt kommen werden. Im Herbst werden die ersten Ausstellungen in der Stadt eröffnet und – dann kommt der Auftritt auf der Buchmesse im Oktober.
Wofür sind Sie bei all dem genau zuständig?
Meine Aufgabe ist es, diese Prozesse zu koordinieren. Um das Kulturprogramm auf der Buchmesse und in der Stadt, aber auch all das, was außerhalb Frankfurts stattfindet, auf die Beine zu stellen, vermitteln wir zum Beispiel Kontakte zu Museen und Literaturfestivals. Ich kümmere mich auch um die eigenen Ehrengast-Projekte der Buchmesse wie den Wettbewerb für junge Gestalter, bei dem ein Plakat als Willkommensgruß gekürt wird.
Brasilien wurde 2013 von einem mit Samba-Federn geschmückten Dackel begrüßt.
Ja, das war sehr gelungen. Außerdem organisieren wir die Buchausstellung „Books on“ und die Gastrollenübergabe am Ende der Buchmesse.
Wie läuft die Zusammenarbeit mit den Organisationskomitees: Müssen Sie diese auch mal antreiben oder bremsen, etwa wenn diese ihren Auftritt nicht nur für die Literaturförderung, sondern auch für Tourismus-Marketing nutzen wollen?
Wir versuchen von Anfang an klarzumachen, was unsere Erwartungen sind, und dafür zu sensibilisieren, wie welcher Auftritt hierzulande rüberkommt. Mitunter lernt man dabei auch, was Beratungsresistenz bedeutet. Und manchmal sind wir mit Entwicklungen konfrontiert, die so nicht vorherzusehen waren. 2007 hatten wir den Schwerpunkt „Katalanische Kultur“ – allerdings hatten sich die dortigen politischen Verhältnisse nach der Vertragsunterzeichnung stark verändert.
Die Kulturpolitik wurde nationalistischer?
Ja. So kam es, dass prominente katalanische Autoren vom Organisationskomitee nicht eingeladen wurden, z.B. weil sie auf Spanisch schreiben, und andere von sich aus fernblieben. Das war sicherlich nicht in unserem Sinne.
Bei der Auswahl der Ehrengäste hat die Buchmesse brisante Gastländer durchaus nicht gescheut. Bei welcher Entscheidung sind Sie selbst zusammengezuckt?
Bei China zum Beispiel. Mich hat es sehr beschäftigt, wie es gelingen kann, auch kritischen Stimmen aus China Gehör zu verschaffen. Es hat sich dann gezeigt, dass das dortige politische System nur schwer mit unserer Vorstellung von Öffentlichkeit zusammenzubringen ist. Das hat den Auftritt überschattet. Allerdings ist auch nicht immer wahrgenommen worden, dass anlässlich des Auftritts 200 Institutionen Veranstaltungen über China organisiert haben – viele davon mit kritischen Stimmen und Perspektiven. Ich halte jedenfalls nichts von der Position, dass man von „schwierigen“ Ländern lieber die Finger lassen sollte.
Sind die Ehrengastauftritte oft nicht nur ein Strohfeuer der Aufmerksamkeit? Wann haben sie nachhaltige Wirkung?
Ein Auftritt ist dann gut gelaufen, wenn möglichst viele Leser Neuerscheinungen von Autoren aus dem Gastland in ihrer Buchhandlung finden und Verlage sich so vernetzt haben, dass sie ihre Publikationen weltweit verkaufen können. Im Falle Islands gab es im Zuge des Auftritts sagenhafte 230 Neuerscheinungen im deutschsprachigen Raum. Natürlich waren es danach wieder weniger, aber Kontakte, Netzwerke, Strukturen sind entstanden oder gestärkt worden. Ob diese dann gepflegt werden, ist von Fall zu Fall verschieden. Zur Nachhaltigkeit gehört auch, inwieweit sich die jeweilige Verlagsbranche entwickelt und professionalisiert hat. Oftmals nutzen die Gastländer den Frankfurter Auftritt als Referenz für weitere Auftritte. Länder wie Polen oder die Türkei verwenden ihr Gastland-Logo heute noch.
Sie haben Island angesprochen. Wie kann ein Land mit 320.000 Einwohnern die finanziellen Anforderungen im gleichen Maße erfüllen wie China, Brasilien oder Indonesien – wo 240 Millionen Menschen leben?
Die Budgetrahmen sind in der Tat sehr unterschiedlich. Island ist aber auch ein hervorragendes Beispiel dafür, dass ein erfolgreicher Auftritt nicht nur vom Geld abhängt, sondern von den verantwortlichen Menschen. Unsere Erfahrung zeigt: Je kooperationsfreudiger die Gastländer sind, desto erfolgreicher sind sie. In Ländern wie aktuell Finnland sind es die dortigen Kulturinstitutionen gewohnt, eigenverantwortlich zu arbeiten, andere Länder sind da wesentlich bürokratienäher – was die Sache für uns nicht leichter macht. Im Falle Brasilien wurde wenige Monate vor der Buchmesse die Leitung des Organisationskomitees ausgetauscht und das ganze Projekt erst einmal gestoppt. Da muss man sehr tief durchatmen. Übrigens hat es das kleine Island geschafft, einen magischen Pavillon zu zeigen.
Sie haben viele Auftritte hautnah erlebt. Welcher hat Sie am meisten bewegt?
Beeindruckt hat mich, wie Argentinien 2010 im 200. Jahr seiner Unabhängigkeit die Erinnerungskultur ins Zentrum gestellt hat. Sehr inspirierend fand ich auch den Auftritt von Korea 2005. Da war ein junges kreatives Team am Werk, das viele unkonventionelle Ideen umgesetzt und einen wahnsinnig guten Pavillon entwickelt hat. Dort wurden übrigens die Ubiquitous Books, kurz U-Books vorgestellt, das waren Vorläufer der E-Books. In Korea haben die Menschen schon damals auf ihren Handys U-Books gelesen. Der Rest der Welt war allerdings noch nicht so weit. Bewegt haben mich natürlich der Island-Auftritt und ganz besonders die Eröffnungsrede von Luiz Ruffato im vergangenen Jahr.
von Christian Sälzer (05.08.2014)