So wenig wie möglich
Was gute Gestaltung ausmacht. Wie aus acht Kisten mit Krimskrams das Robert-Johnson-Buch wurde. Und warum das Buch „Books und Bookster“ für Diskussionen sorgen dürfte. Ein Besuch bei der Gestalterin Sandra Doeller.
Will man wissen, was Sandra Doeller unter einer gelungenen Gestaltung versteht, kann man sich von ihr zum Beispiel das legendäre, von Willy Fleckhaus entworfene Titelkonzept der Suhrkamp-Wissenschafts-Taschenbücher analysieren lassen: Buchtitel, Autor und Verlagsname sind nicht wie sonst verteilt platziert, sondern ballen sich am Kopf der Seite. Ein markanter Schriftschnitt in lediglich zwei Schriftgrößen, ein ansonsten leerer Titel – jede Ausgabe der Reihe ist gleich gestaltet. „Ein starkes Erscheinungsbild durch extrem wenige Mittel“, sagt sie. „Ich überlege auch immer, was ich weglassen kann.“ Damit ist alles gesagt. Fast.
Doeller sitzt in ihrem Büro am Osthafen, mitten im Kunst-Design-Hotspot der Stadt schlechthin. In dem Gebäudekomplex ist die Galerie Morgen angesiedelt und der Künstler Tobias Rehberger ist hier. Es gibt Werkstätten, Ateliers, Showrooms, Büros, eine eigene Kantine – und zahlreiche Kreative. Doellers Büro ist das kleinste, birgt gleichwohl ein riesiges Bücherregal, das bis zur hohen Decke hin prall gefüllt ist. Bücher über Kunst, Design, Typografie, allesamt gut gestaltete Bücher oder Bücher über gute Gestaltung. An der Wand hängt ein Plakat, das sie entworfen hat. Ein Plakat ohne Bild, nur mit Schrift, klar strukturiert und aufgeräumt. Genau so sieht auch ihr Schreibtisch aus. Hier liegt nicht viel herum, und nichts liegt nicht dort, wo es liegen soll. Noch mehr weglassen kann man kaum.
Was gute Gestaltung ist? Schon vor drei Jahren hat die heute 31-Jährige auf der Veranstaltung „Warum schöne Bücher“ der Stiftung Buchkunst über diese Frage gesprochen. Sie war Jury-Mitglied beim Förderpreis für junge Buchgestaltung und an der Hochschule Darmstadt lehrt sie die Kunst der Typografie. Vor allem aber ist sie als Gestalterin tätig, von Magazinen, Katalogen, Plattencover, Plakaten – und eben Büchern. Eines davon hat Doeller überhaupt erst nach Frankfurt gebracht.
Eigentlich hatte sich die Darmstädterin nämlich in der Schweiz eingerichtet, jenem Land, in dem „großer Wert darauf gelegt wird, einem Buch eine Form zu geben, die zum Inhalt passt“. Auf Besuch in Frankfurt aber lernte sie über den ehemaligen Kommilitonen Michael Satter den Club-Bar-Restaurant-Betreiber und Tausendsassa Ata Macias kennen. Angetan von den Arbeiten der beiden jungen Gestalter, ermutigte dieser Doeller und Satter, sich zusammenzutun – und lockte mit einem attraktiven Angebot: Als Duo sollten sie alle Gestaltungsaufträge seiner Projekte bekommen und gleich mit einem Buch über seinen Club Robert Johnson beginnen. Er schleppte acht Kisten heran, jede bis zum Rand gefüllt mit Fotos, Flyern, Programmheften, Schallplatten und Objekten aller Art – ein wilder Fundus des Frankfurter Nachtlebens. Damit sollten sie loslegen. Flugs packte Doeller ihre eigenen Sachen und zog nach Frankfurt. Zwei Jahre später war „Come On In My Kitchen. The Robert Johnson Book“ fertig. Nach vier Wochen war es bereits vergriffen. Und Macias hielt Wort: Von der Neuauflage über das Programm des Robert Johnson und Drucksachen des Club Michel bis zur Getränkekarte der Bar Plank, stets steckten Doeller & Satter dahinter.
Zwar gibt es das Büro nicht mehr, gelegentlich arbeiten sie und er aber weiterhin zusammen. Das Renommee ist ohnehin geblieben. Und auch der Stil, den die beiden geprägt haben, setzt sich in Doellers neueren Arbeiten fort: die extreme Reduktion. „Mit Komplexität Effekte zu erzeugen, ist nicht schwer“, sagt sie. Nur selten benutzt sie Bilder, oft vertraut sie auf die Eleganz einzelner Buchstaben und findet typografische Lösungen. „Genau das finde ich spannend: Wie kann ich das, was gesagt werden soll, allein in Schrift ausdrücken?“ Die Prägnanz und Ästhetik eines gut gesetzten Satzes, das ist so etwas wie ihr Markenzeichen. Was aber heißt gut gesetzt – oder gut gestaltet? Irgendwann sagt Doeller nebenbei „willkürfrei“. Das ist es wohl: Dass es nicht einfach irgendwie gut aussieht, sondern dass jeder Schritt vom Inhalt her gedacht wird und alles aufeinander abgestimmt ist. Konzeptionelle Strenge statt Beliebig- oder Zufälligkeit. Und es geht um praktische Fragen. Das zeigt sich, als Doeller über „Satzspiegelkonstruktionen“ spricht, also die Frage, wie viel Platz in einem Buch zwischen dem Textblock und den Seitenrändern ist. Da sei der mechanische Aspekt: Der äußere und untere Rand müsse so breit sein, dass man das Buch halten kann, ohne mit dem Daumen Schrift zu bedecken. Und da sei die ästhetische Frage, in welchem Verhältnis die Randbreiten zueinander und zum Text stehen. Doeller erzählt von Harmonielehren und entsprechenden Abhandlungen von Jan Tschichold aus den 1960er-Jahren. Hinter einem Millimeter mehr oder weniger steckt eine Wissenschaft.
Wie sie vorgeht, um einem Inhalt eine adäquate Form zu geben, zeigt sich an ihrem jüngsten Projekt, dem Buch „Books & Bookster“ über die Zukunft des Buches. „Weil es thematisch um das mögliche Ende des Buches, wie wir es kennen, geht, wollte ich, dass die Innenseiten eine Art Hommage an die klassische Buchgestaltung sind.“ Format, Satzspiegel, Schriftschnitt, Formatierungen und Laufweiten – entstanden ist ein Design, das dieser Idee bis ins Detail folgt. Doch was ist mit der Zukunft? Sie hat Doeller in der Gestaltung des Einbands thematisiert – auf radikale und im Verhältnis zu den Innenseiten absolut konträre Weise: Der gesamte Buchblock ist blau gefärbt und enthält keinerlei Schrift. Auf den ersten Blick ist nicht einmal klar, wo oben und unten und vorne und hinten ist. Ein Taschenbuch als Objekt. Der Gedanke dahinter: „Die Zukunft des Buches ist offen – daher ist es ein Buch ohne Titel, wie ein unbeschriebenes Blatt.“ Weil manche Informationen trotzdem notwendig sind, hat sie Angaben wie Titel, Herausgeber, Verlag und ISBN-Nummer auf dünnes Umschlagpapier gesetzt und das Buch wie ein Geschenk darin eingepackt. Einmal ausgepackt aber, hat es weder Umschlag noch Titel. Nicht nur Buchhändler dürften sich wundern. Doch Doeller argumentiert: „Die Leute packen es aus – und beginnen darüber zu diskutieren, ob das praktisch ist, ob ein Buch einen Titel braucht und was überhaupt ein Buch ist. Noch bevor sie es aufgeschlagen haben, sind sie also schon beim Thema des Buches.“
von Christian Sälzer (03.03.2015)