Die Kunst der weißen Seiten
Als Gesellschafterin der Sachsenhäuser Firma Brandbook macht Sabine Kochendörfer seit vielen Jahren Bücher. Notizbücher, um genau zu sein. Hierbei weitet sie die kunsthandwerklichen Möglichkeiten, wie und woraus man Bücher fertigen kann, ins Abenteuerliche aus – von Handtaschenleder bis zu Fischeinpackpapier.
Wann ist ein Buch ein Buch? Oder anders: Was macht ein Buch zum Buch und wann hört es auf, ein Buch zu sein? Vor 200 Jahren oder vor 20 Jahren war das unstrittig. Vorne und hinten ein Einband, dazwischen mit Worten oder Bildern bedruckte Seiten – das war ein Buch. Doch dann zog der digitale Sturm mit seinen E-Books und E-Readern auf und nahm dem Buch sein Material, stahl ihm Gewicht, Haptik, Klang, Geruch – und die Sache wurde kompliziert. Seither wird gerne vom „Prinzip Buch“ gesprochen, was nichts anderes meint, als dass ein Buch auch dann noch ein Buch ist, wenn es auf eine Dateneinheit komprimiert ist. Der „Content“, sei er auch nackt, macht’s. Das wirft nun aber die Frage auf, ob ein Buch, das zwar aussieht, wie ein Buch klassischerweise aussieht, aber keinen Inhalt hat, auch ein Buch ist. Damit wären wir bei Sabine Kochendörfer.
Auf der Visitenkarte der 45-Jährigen steht als Berufsbezeichnung „Book Expert“. Das klingt gut, aber auch vage. Als Gesellschafterin des Frankfurter Unternehmens Brandbook, das in Sachsenhausen an der Ecke Gutzkow- und Brückenstraße sein Domizil hat, macht sie seit vielen Jahren schöne Bücher, mehrere Tausend verschiedene Exemplare sind es inzwischen. Allerdings steht in diesen nichts drin, die Seiten sind allenfalls mit dezenten Linien oder einem Punktraster bedruckt. Es sind Notizbücher – also Bücher ohne „Content“. Kochendörfer beschreibt das so: „Wir sorgen für eine außergewöhnliche Verpackung, den Inhalt muss der Nutzer dann selbst hineinschreiben.“ Durch die Art ihrer Herstellung und die verwendeten Materialien haben die Brandbooks gleichwohl all das, was bei Büchern im digitalen Zeitalter entbehrlich erscheint: Form und Material.
Die Geschichte im Zeitraffer: Früher hatte Kochendörfer mit ihrem kreativen Partner Bernd Griese eine klassische Werbe- und Design-Agentur. Eines Tages gestalteten sie für ihren Kunden Hewlett-Packard ein individuell gefertigtes Notizbuch. Der Kunde war begeistert – und eine Nische entdeckt. Seitdem machen Kochendörfer und Griese unter dem Namen Brandbook genau das: Sie entwerfen, planen und realisieren Notizbücher für Unternehmen, die diese dann an ihre Mitarbeiter, Partner oder Kunden verschenken oder als eigene Kollektionen verkaufen. Die Referenzliste liest sich wie ein ABC der großen Namen: Von Adidas, BASF und Canon bis zum ZDF. „Unsere Bücher sollen nicht nur außergewöhnlich verarbeitet sein – sie müssen auch zum jeweiligen Kunden passen“, so Kochendörfer. So sind die für Rolf Benz mit einem Couchbezug ummantelt und die für Borussia Dortmund mit leuchtend gelbem Trikot-Stoff bespannt.
Zu Kochendörfers Aufgaben gehört es, den Fundus an möglichen Materialien zu erweitern –und sei der Weg noch so abseitig. Also besucht sie Papierausstellungen, Heimtextilmessen oder Modeschauen, immer auf der Suche nach Stoffen, die in der Buchbranche noch nicht verwendet wurden – und kommt mit Jeanslabel-Material, Diskokugelfolien, Handtaschenleder und ähnlichem Extravagantem zurück. Im Untergeschoss von Brandbook finden sich Showrooms und Lagerräume mit Mustern von Tausenden verschiedenen Einband- und Papiersorten. Einmal hat Brandbook für die Art Director's Club Konferenz ein Buch mit abenteuerlichen Papiersorten realisiert, von Pack- über Lösch- bis zu ledrigem Führerscheinpapier, Papier für Teebeutel, Geldscheine und zum Einwickeln von Fisch.
Das Material ist das eine, Verarbeitungen und Veredelungen sind das andere. Prägungen, Beflockungen, Lasergravuren – die Möglichkeiten, die Brandbook bietet, sind gewaltig. Für all das braucht es das entsprechende Know-how. Tatsächlich arbeiten bei Brandbook neben klassischen Gestaltern Drucktechniker, Verpackungsingenieure, Modedesigner und Buchwissenschaftler. Große Auflagen werden in Süddeutschland auf großen Buchstraßen, kleinere Auflagen im Frankfurter Raum per Handarbeit gefertigt. Hier stehen auch spezielle Maschinen, die Kochendörfer und Griese im Laufe der Jahre aufgetrieben haben, sei es eine Stanzmaschine, mit der früher die Ecken von Louis-Vuitton-Taschen abgerundet wurden, eine äußerst rare Gummibandeinzugsmaschine oder ein Tintenstrahldrucker, der von einem Tüftler so umgerüstet wurde, dass sich Bücher einspannen lassen und der Buchblock farbig bedruckt werden kann.
In gewisser Weise lebt Brandbook von einem zweifachen Anachronismus: Während Bücher zunehmend zu digitalen Einheiten verkommen, werden hier traditionelle (kunst-)handwerkliche Fertigkeiten bewahrt bzw. neue entwickelt. Tatsächlich dürfte kein Verlagshaus der Stadt über eine vergleichbare Expertise in der Buchherstellung verfügen wie Brandbook. Vermeintlich gegen den Trend ist aber auch das Konzept Notizbuch: In einer Zeit, in der der Dauerzugriff auf Laptop und Smartphone gegeben ist, lebt Brandbook von Büchern, in die man „per Hand“ hineinschreiben muss. Ist das Nostalgie? Kochendörfer: „Nein, es gibt eine starke Nachfrage nach dem Analogen.“ Es sei eben etwas anderes, ob sich in einem Meeting alle hinter ihrem Laptop verschanzen und E-Mails checken – oder ob die Leute nur mit Notizbüchern dasitzen. „Und was man per Hand geschrieben hat, merkt man sich auch besser. Das geht so weit, dass man sich bei einer geschriebenen Notiz sogar genau daran erinnert, wo man sie aufgeschrieben hat.“
Bis vor drei Jahren hat Brandbook ausschließlich Notizbücher für Firmen realisiert. Dann wurde Nuuna geboren – ein Label, unter dem Kollektionen für den Einzelhandel und damit für jedermann und -frau vertrieben werden. Verkauft werden die Bücher weltweit – in der Tate Modern in London, im MoMA in New York, aber auch im Nuuna-Ladengeschäft gleich neben dem Brandbook-Büro. Auf manchen Bücher stehen programmatische Parolen: „Write books, not blogs.“ Oder: „Print is not dead, it just smells funny.“ Bleibt die Frage, wie jemand, der von der Wertschätzung der guten alten Druckwerke lebt, eigentlich selbst liest? Kochendörfer sagt, dass sie morgens zuallererst ihre Zeitung aufschlägt und noch nie einen Roman digital gelesen hat. Das muss sie natürlich sagen. Man kann es ihr aber auch glauben. Schließlich geht doch nichts über den lustigen Geruch der Tageszeitung am Morgen und des Hardcover-Romans am Abend.
von Christian Sälzer (15.07.2014)