Die dunkle Seite der Macht
Die „Marketing- und Verlagsservice des Buchhandels GmbH“ (MVB) steht etwas im Schatten der Frankfurter Buchmesse. Wichtig ist sie gleichwohl. Denn wenn es sie nicht gäbe, würde man zum Beispiel kein Buch mehr im Katalog finden. Ein Interview mit dem MVB-Geschäftsführer Ronald Schild in einer gekürzten Fassung. Das ganze Interview lesen Sie hier.
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat zwei Wirtschaftstöchter. Die eine kennt in Frankfurt jeder, die andere – die MVB – nur Branchenkenner. Um das zu ändern: Was machen Sie eigentlich?
Sie haben recht, die Buchmesse ist die „schöne Tochter“, das Aushängeschild des Börsenvereins. Wir sind dagegen eher im Maschinenraum der Buchbranche tätig. Die MVB sorgt dafür, dass das Buch seinen Weg vom Autor über den Verlag und die Buchhandlung bis zum Leser findet und konzentriert sich dabei auf wichtige Infrastrukturdienstleistungen für die Branche.
Das heißt konkret?
Wir sind zum Beispiel die deutsche ISBN-Agentur, sind also dafür zuständig, dass jedes Buch eine Nummer bekommt, die es weltweit eindeutig kennzeichnet. Daneben machen wir das „Verzeichnis Lieferbarer Bücher“ (VLB), das für den Handel ein unverzichtbares Arbeitsmittel ist. Und dann sind wir auch noch Verlag und produzieren mit dem Börsenblatt das wichtigste Fachmagazin und mit dem Buchjournal ein sehr auflagenstarkes Endkundenmagazin.
Sie selbst kommen von Amazon, dem erklärten Feind des Börsenvereins. Wie geht denn das zusammen?
Ja, ich komme von der dunklen Seite der Macht. Wie das passieren konnte, kann ich mir bis heute nicht erklären [lacht]. Aber im Ernst: Es war eine sehr schöne Herausforderung, die mir damals angeboten wurde, und da fiel mir die Entscheidung gar nicht schwer.
Hat es vielleicht auch damit zu tun, dass Amazon damals, als sie bei der MVB anfingen, noch nicht ganz so sehr als Feind empfunden wurde?
Mit Sicherheit lag es auch daran. Die Marktmacht von Amazon war 2006 noch nicht ganz so groß, und auch das monopolistische Geschäftsgebaren hat sich seitdem sicherlich zugespitzt. Inzwischen hat das Unternehmen Schritte unternommen, um nicht nur Buchhandlungen sondern auch Verlage auszuschalten. Und das ist natürlich sehr bedrohlich für die Vielfalt der gesamten Buchbranche. Auf der anderen Seite muss man zugestehen, dass Amazon sehr viele Innovationen in den Markt gebracht hat. Ohne Amazon wäre der Buchmarkt nicht dort, wo er heute ist.
Amazon treibt die Branche nach vorne – und zur Kooperation. Mit buchhandel.de versuchen Sie gerade ein Konkurrenzportal aufzubauen. Worin liegen die Vorteile?
Buchhandel.de ist eine Plattform, über die der Käufer bei seiner lokalen Buchhandlung im Internet kaufen kann. Dabei grenzen wir uns ganz bewusst gegen den Bestseller-Mainstream ab, also gegen die Algorithmen, die immer das erfolgreichste Buch nach oben stellen. Aktuell haben wir zum Beispiel Empfehlungen aus den Verlagen der Kurt Wolff Stiftung auf der Titelseite. Und bei uns finden Sie zudem eine große Menge an individuellen Empfehlungen von Buchhändlern – so etwas gibt es sonst nirgendwo.
Buchhandel.de ist Ende vergangenen Jahres mit zahlreichen Schwierigkeiten gestartet – aber auch heute funktioniert die Suche dort noch nicht reibungslos. Wenn man zum Beispiel unser Buch „Books & Bookster“ sucht, wird man nicht fündig, weil Ihre Suche das kaufmännische Und-Zeichen nicht kennt.
Das glaube ich nicht.
[Steht auf, holt sein iPad, tippt darauf herum.]
Mmmh, Sie haben recht. Aber das sind Kleinigkeiten, die noch ausgebügelt werden. Deshalb sind wir ja auch noch in der Betaphase. Wir hatten einen schwierigen Start, weil wir einfach zu früh online gegangen sind. Das gebe ich unumwunden zu, das ist kein Geheimnis. Aber an diesem kleinen Fehler sehen Sie die Schwierigkeiten, die in so einem Projekt stecken. Denn es sind die vielen, vielen kleinen Details, die umgesetzt werden müssen. Und das ist im Buchhandel besonders schwierig, weil die Anzahl der Produkte so enorm hoch ist. Allein auf buchhandel.de haben wir zurzeit drei Millionen Produkte von rund 22.000 Lieferanten; das ist für einen Online-Katalog eine enorme Menge.
Schwierigkeiten hatten Sie auch bei einem anderen Projekt, der E-Book-Vertriebsplattform libreka. Woran lag es, dass Sie damit gescheitert sind?
Wir sind keineswegs gescheitert! In den letzten Jahren hatten wir mit libreka große Erfolge, allerdings zugegebenermaßen auch Misserfolge. So hat das Endkundengeschäft nicht so funktioniert, wie wir uns das vorgestellt haben. Andererseits haben wir mit unserer Volltextsuche nicht nur eine echte Alternative zur Google Buchsuche aufgebaut, sondern waren auch ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste Katalysator in Sachen Digitalisierung. Wir haben signifikant zur Vielfalt im E-Book-Markt beigetragen. Denn erst durch unsere Verhandlungen mit Apple wurde vielen Verlagen der Verkauf im iBook Store ermöglicht. Und wir haben durch unseren Vollkatalog einen wesentlichen Beitrag zum Erfolg des tolino geleistet.
Jetzt haben Sie libreka an das Unternehmen Zeilenwert verkauft ...
... was ja gerade zeigt, dass wir mit libreka erfolgreich waren.
Sie verteidigten libreka immer als „Erfolgsgeschichte“, andere sprachen schon früh von einem Millionengrab. Welche Einschätzung ist im Nachhinein richtig?
Noch einmal: Libreka war ein Erfolg. Definitiv! Wir haben uns keine goldenen Nase damit verdient, aber es war profitabel. Was natürlich nicht zuletzt daran lag – und daraus habe ich auch nie ein Hehl gemacht –, dass das Geschäftsmodell an das des VLBs gekoppelt war, also dessen Gebühren libreka querfinanziert haben. Aber das war auch von vorneherein so geplant.
Dennoch stießen Sie bei anderen Branchenteilnehmern auf Widerstand. Dem Frankfurter E-Book-Distributor Bookwire haben Sie zum Beispiel mit libreka das Geschäft streitig gemacht.
Dieser Konflikt ist systemimmanent. Es gibt immer einzelne Marktteilnehmer, denen wir mit unserem Engagement auch auf die Füße treten. Und das ist ja auch einer der Gründe, warum wir libreka jetzt verkauft haben.
Sie haben sich vor Kurzem aber noch beschwert, dass immer wieder darüber diskutiert wird, was die MVB tun darf oder lassen soll. Und Sie plädierten für ein an der Wirtschaftlichkeit orientiertes Handeln, das allein zu einem nachhaltigem Erfolg führen würde.
Das ist wie beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Einerseits schätzt man dessen Angebot und will es nicht missen, andererseits werden ihm immer wieder Steine in den Weg gerollt – zum Beispiel wenn er auf die Idee kommt, mit einer Tagesschau-App dieses Angebot auszuweiten. Ähnlich ist es bei uns. Auch von uns erwartet man ein perfektes Angebot, das im Service und Preis mindestens mal konkurrenzfähig ist, andererseits wird immer wieder infrage gestellt, ob wir wie ein normales Wirtschaftsunternehmen agieren dürfen.
Kommen wir zum Schluss noch einmal auf die Buchstadt Frankfurt. Täuscht der Eindruck oder ist sie insgesamt etwas „oldfashioned“, im traditionellen Geschäft verhaftet? Digitale Aktivitäten der Buchbranche finden zumindest eher in anderen Städten statt.
Das ist richtig. Hier ist die Innovationskraft in diesem Bereich tatsächlich nicht so ausgeprägt. Und das ist insofern auch ungewöhnlich, weil Frankfurt im Digitalen ja durchaus gut dabei ist, sei es mit Online-Agenturen oder auch im finanztechnischen Sektor. Vermutlich liegt es aber schlichtweg daran, dass die Stadt in der Förderung solcher Projekte eher zurückhaltend ist und es für ein Start-up natürlich sehr viel günstiger ist, zum Beispiel in Berlin ein Büro zu mieten.
Eine letzte Frage an den Bookster Ronald Schild: Sind Sie überhaupt ein richtiger „Bookster“ – oder ist für Sie das Buch eine Ware wie jede andere auch?
Nein, ich bin auf jeden Fall ein Buchmensch. Ich lese sehr viel und das Buch an sich hat mich schon immer fasziniert. Also diese Verbindung zwischen Kommerz und Kultur ... – letztlich war das auch der Grund, warum ich mich damals für den Börsenverein des Deutschen Buchhandels und gegen Amazon entschieden habe.
von Martin Schmitz-Kuhl (18.08.2015)