Bücher waren schon immer irgendwie dabei
Petra Wittrock pendelt viel. Etwa zwischen Frankfurt und Hamburg, wo ihr Freund wohnt. Zwischen Musik und Literatur, damit beschäftigt sie sich beruflich. Und zwischen dem Nordend und Sachsenhausen, wo der S. Fischer Verlag beheimatet ist. Auf dieser Seite des Mains treffen wir uns auch auf ein Feierabendbier.
Früher war ja eh alles besser, schon klar. Gut, vielleicht jetzt nicht alles alles. Und wenn man mal die Verklärungsbrille absetzt, wahrscheinlich sogar eher wenig. Aber musikalisch gab es ja schon ein paar Dinge, an die man sich mit Wehmut erinnern kann. So auch Petra Wittrock, hauptberuflich ist sie Marketingmanagerin für den Bereich Literatur beim altehrwürdigen S. Fischer Verlag. Aber im tiefsten Herzen ist sie bis heute Punkrocker geblieben. Ein Widerspruch? Keineswegs! Angefangen hat das Ganze im Sommer 1987: Der Baggersee in Duisburg war ein ziemlich exaktes Abbild der bundesdeutschen soziokulturellen Jugendszene. Und die war so fein ziseliert und ausdifferenziert, dass man das heute eigentlich nur noch nachvollziehen kann, wenn man selbst dabei war. Als die junge Petra nun so unter der Ruhrpottsonne döste, stieg langsam die Erkenntnis in ihr auf, dass das der Sommer der Entscheidung sein könnte. Vielleicht war es ihr noch nicht einmal so richtig bewusst, vieles wird ja erst in der Rückschau so richtig deutlich. Jedenfalls hatte sie das Gefühl, sich nun für eine der Richtungen entscheiden zu müssen. Schließlich gesellte sie sich zu dem Grüppchen, bei dem die Toy Dolls und Ramones aus dem tragbaren ITT Kassettenrecorder schepperten. Ab dem Moment war Punkrock ihre erste Wahl. Und weil es mit der frühen musikalischen Sozialisierung ähnlich ist wie mit der Liebe zum Fußballverein, zieht es Petra auch heute noch regelmäßig nach Blackpool zum Punk-Festival. Dort geben sich seit über einem Vierteljahrhundert die inzwischen ergrauten Veteranen der Szene auf und vor der Bühne ein Stelldichein.
Bevor wir auf Bücher zu sprechen kommen (stimmt, da war doch was!), wird noch ein bisschen musikalisch gefachsimpelt. Wann hat man schon die Gelegenheit, sich auf Augenhöhe mit einer DJane unterhalten zu können, ohne dass man sie von der Tanzfläche aus über Turntable-Aufbauten hinweg anschreien muss, in der Hoffnung, seinen Musikwunsch erfüllt zu bekommen, und dann doch ignoriert wird? Petra bildet zusammen mit ihrem Verlagskollegen Oliver Vogel das DJ-Duo FishinMotion. Und inzwischen haben sich die beiden zu so etwas wie den Residents der Frankfurter Literaturdancefloors entwickelt. Der ein oder andere erinnert sich vielleicht noch an die Open Books-Abschlussparty im Literaturhaus mit Special Guest Clemens Meyer (Disco! Disco! Disco!). Während Oliver Vogel früher schon ab und zu aufgelegte, ist Petra Wittrock eine Spätberufene. Und das kam so: „Wir haben dem Verlags-Azubi, der schon immer mal auflegen wollte, so etwas wie eine Wildcard für das Feinstaub (Musikkneipe im Nordend mit wechselnden DJs) geschenkt“, erinnert sie sich. „Nur hat der sich dann nicht getraut den kompletten Abend alleine zu bestreiten und wir mussten ihn unterstützen. Von dem Zeitpunkt an hatte ich ein neues Hobby. Und es macht riesig Spaß.“ Aber wollten wir uns nicht ursprünglich über Bücher unterhalten? „Ja, sehr gerne, sonst entsteht auch ein ganz falscher Eindruck. Schließlich waren Bücher bei mir schon immer dabei und spielen eine wichtige Rolle in meinem Leben.“ Gut, dann also mal ernsthaft.
Wie so oft, war auch hier das familiäre Umfeld prägend. So waren die Eltern und die beiden älteren Geschwister von Petra auch Bücherfreunde. (Ja, in Duisburg prügelt sich nicht nur Schimanski vor der Kulisse stillgelegter Zechen durch die heruntergekommenen Straßen, man weiß dort auch ein gutes Buch zu schätzen.) Angefangen hat es ganz klassisch mit „Fünf Freunde“ und „Drei Fragezeichen“, dann Karl May, Agatha Christie und Edgar Wallace. Hemingway war dann wohl etwas zu früh, wie Petra inzwischen glaubt. Heute mag sie Autoren wie Chimamanda Adichie, Roberto Bolaño oder Daniel Kehlmann, greift aber immer öfter auch zum Sachbuch. Ansonsten liest sie sich hauptberuflich quer durchs Fischer Verlagsprogramm. Sie ist zwar keine Lektorin, aber auch als Marketingmanagerin will sie genau wissen, welches Produkt, oder besser gesagt Buch, sie vermarkten soll. „Denn es geht mir immer ums Buch. Für irgendein anderes Produkt Marketing zu machen, kann ich mir nicht vorstellen. Dann schon eher eine andere Aufgabe in der Buchbranche.“ Klar, Bookster eben. Immens wichtig für die Verkaufszahlen seien neben den üblichen werblichen Maßnahmen Covergestaltung und Klappentext. Erstaunlich eigentlich, was trotzdem in der Buchhandlung teilweise für krude Sachen feilgeboten werden – findet auch Petra. Ansonsten gewinne die direkte Kommunikation mit den Lesern immer mehr an Bedeutung. So hat Fischer mit seinem literarischen Online-Magazin „Hundertvierzehn“ (Hausnummer des Verlags in der Frankfurter Hedderichstraße) ein ganz neues Kapitel in der Kundenansprache aufgeschlagen. Wie der Verlag selbst auf seiner Website bekannt gibt, sollen dort unter anderem Autoren und Lektoren beim Nachdenken auf Nebenwegen, beim Fragen und Fragen beantworten begleitet werden. „Grundsätzlich sollte man wissen, wie die Zielgruppe unterwegs ist, dann kann man ganz gut einschätzen, ob ein Buch zum Verkaufsschlager wird oder in den Regalen verstaubt.“ Und die stärkste Zielgruppe des Frankfurter Verlagsflagschiffs ist sicherlich das, was man früher einmal Bildungsbürgertum nannte. Petra assoziiert damit nichts Spießiges, sondern eher bestimmte Werte und kann sich deshalb ganz gut in diese Käuferschicht hineinversetzen – trotz Punkrock oder gerade deshalb. Dabei hat sie sowohl die Endkunden als auch den Buchhandel im Blick. Und um den ist ihr, als ehemaliger Buchhändlerin, trotz der Schließung einiger großen Filialen gar nicht bange: „Ich könnte mir vorstellen, dass insbesondere der kleine spezialisierte Quartiersbuchladen eine gute Zukunft haben kann – ähnlich dem Lebensmittelhandel mit seinen Bioläden und regionalen Produkten.“ Ein schöner Nebeneffekt bei der Arbeit ist für Petra der Kontakt zu den Autoren. „Das sind oft sehr interessante Persönlichkeiten. Beispielsweise haben wir uns einmal spontan mit einem unserer Autoren in Paris zum Abendessen getroffen, als wir privat dort waren. Da steht eben nicht immer zwingend das Business im Mittelpunkt. Überhaupt sind die meisten Menschen, mit denen ich in der Branche zu tun habe, Überzeugungstäter, denen es in erster Linie um Inhalte geht.“
von Ulrich Erler (24.06.2014)