Die Risikogruppe schlägt zurück
Peter (Pit) Knorr ist eine Frankfurter Satire-Legende. Zwischenzeitlich war es ruhig um ihn geworden. In der Krise feiert er jedoch nun als „Opa Corona“ sein wortgewaltiges Comeback.
Lassen Sie uns über den Tod reden – oder ist das Thema für den Einstieg zu schwierig?
Nein, gar nicht. Wenn man in meinem Alter ist, setzt man sich mit diesem Thema ja ohnehin auf die eine oder andere Art auseinander. Aber als die Corona-Krise anfing und es klar war, dass ich mit meinem Alter und meiner Lungenvorerkrankung so deutlich zur Risikogruppe gehörte, kam natürlich auch bei mir erst einmal eine gewisse Endzeitstimmung auf. Meine Frau hat mir in dieser Zeit sogar verboten, Moped zu fahren – weil mir ja etwas passieren und ich mir dann im Krankenhaus Corona einfangen könnte.
Haben Sie Angst vor dem Tod?
Vor dem Tod selbst – also dem Nicht-mehr-da-Sein – habe ich sicherlich keine Angst. Klar, es wäre schade, wenn ich nicht mehr da wäre. Aber mit diesem allgemein bekannten Tatbestand, dass es irgendwann einmal zu Ende geht, sollte man sich mit 80 Jahren schon einmal vertraut gemacht haben. Nein, es war nicht der Tod, sondern das Sterben und die Begleitumstände in Corona-Zeiten, vor denen ich etwas Angst hatte. Allein ins Krankenhaus zu müssen. Die Beatmungsgeräte. All das.
Die Angst hemmte Sie aber nicht. Im Gegenteil. Als „Opa Corona“ lassen Sie wieder wortgewaltig von sich hören. Wie kam es dazu?
Mich ärgerte, dass am Anfang der Krise immer nur die Rede von Virologen, Ärzten und Krankenpflegern war. Den Corona-Helden! Aber niemand redete von uns, der Risikogruppe. Und da habe ich mir überlegt, das einfach mal zu übernehmen und den Mund aufzumachen. Deshalb habe ich mir die Figur des widerständigen, frechen Alten ausgedacht, der dann in den folgenden Wochen zu allem seinen Senf dazugegeben hat. Das war quasi Notwehr! Dabei ist diese Figur nicht unbedingt identisch mit mir, aber ich konnte mich prima hinter ihr verbergen und sie auf diese Weise wunderbar Freches und Unkorrektes sagen lassen.
Sie sagen es nicht einfach nur, Sie reimen.
Ich hatte mit den sozialen Medien ja gar keine Erfahrung und wusste nicht, dass man da auch so einfach daherquatschen kann. Ich dachte immer, wenn man sich öffentlich äußert, muss man das in einer bestimmten, anspruchsvollen Form tun. Zunächst habe ich die Gedichte ja auch nur für mich gemacht und dann an rund 30 Freunde per E-Mail geschickt. Aus den 30 wurden 100, weil so viele sie lesen wollten und weitergeschickt haben. Dann hat man mich dazu gedrängt, mit ihnen ins Netz zu gehen. Ich hatte natürlich keine Ahnung, wie das geht, aber mit fremder Hilfe habe ich mir dann einen Facebook-Account eingerichtet und hatte dann dort einige – wie es heißt – Freunde.
Der „Durchbruch“ kam kurz darauf mit Fest & Flauschig, dem Podcast von Jan Böhmermann und Olli Schulz.
Ja, das war lustig. Ich wusste ja erst gar nicht, was das ist und habe gefragt, ob es dafür Geld gibt. Doch das wurde verneint, stattdessen gäbe es „Fame“. Fame! Den könnt ihr euch aber an den Hut stecken, den brauche ich nicht – habe ich gedacht. Aber als ich dann im Anschluss an das Gespräch fast 5.000 Freunde bekam, hat mich das schon bewegt. Nicht wegen des Ruhms, der mir wirklich ziemlich egal ist, aber all die Reaktionen und aufmunternden Kommentare haben mich schon sehr gefreut und gerührt.
Ihr Antrieb für Opa Corona ist ja durchaus ernst, die Gedichte selbst sind aber eher lustig.
Das lässt sich bei mir auch nicht ganz trennen. Ich habe das große Lebensglück, einen Beruf ausüben zu können, der darin besteht, Menschen zum Lachen zu bringen. Dadurch ist man natürlich geprägt, anders hätte ich das gar nicht gekonnt. Das heißt, ich kann nur ironisch und satirisch mit so etwas umgehen, auch wenn es um so ein ernstes Thema geht.
Dabei ist Satire in Zeiten von Corona nicht unbedingt ein Selbstläufer – wie man zum Beispiel bei der heute-show sehen kann. Oder funktioniert sie Ihrer Ansicht nach nur deshalb nicht so gut, weil das lachende Publikum und damit die Atmosphäre fehlt?
Das kann ich nicht beurteilen. Ich schaue generell im Fernsehen sehr wenig Comedy und Satire. Und in einer Phase, in der ich selbst schreibe, schon gar nicht. Das lenkt nur ab. Ich habe aber selbst kürzlich in der Romanfabrik die Erfahrung gemacht, wie es ist, ohne Publikum aufzutreten (Link). Wenn da so gar nichts zurückkommt, außer hin und wieder mal ein spärliches Lachen des Kameramanns, dann ist das schon etwas gewöhnungsbedürftig. Aber es hat doch irgendwie funktioniert, zumindest haben es sich deutlich mehr Menschen angeschaut, als in der Romanfabrik Platz gefunden hätten.
Kommen wir noch einmal zu der Form Ihres „Protests“: dem Gedicht. In einem Artikel über Sie habe ich den Satz gefunden, dass Sie aus „zurückhaltender Bescheidenheit“ bislang kaum Gedichte veröffentlicht hätten, weil sie nicht in Konkurrenz zu ihrem Freund Robert Gernhardt treten wollten...
Ja, das ist richtig. Obwohl ich immer auch gereimt und eine Menge Gedichte in der Schublade habe.
...oder haben Sie es sich vielleicht einfach nur nicht getraut, schließlich war Gernhardt nicht irgendein Dichter?
Nein, auf gar keinen Fall. Ich habe mich immer alles getraut. Ich habe das Genre nur nicht ganz so hochgehängt wie Robert. Für ihn war Lyrik ja das Allergrößte und dann denkt man sich: Soll er mal machen! Für mich gab es einfach Wichtigeres in meinem Leben als den literarischen Ruhm. Das hat vielleicht auch etwas damit zu tun, dass es mir wichtiger war, als komplett freier und unabhängiger Autor meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Bücher erschienen mir dafür nicht so erfolgversprechend – obwohl ich selbst ein leidenschaftlicher Leser bin.
Und Sie sind als bekennender Teamworker bekannt, vor allem eben durch Ihre Zusammenarbeit mit Robert Gernhardt.
Meine erste Zusammenarbeit war allerdings mit Wilhelm Genazino. Wir haben uns beim Satiremagazin Pardon kennengelernt und gründeten zusammen die Autorenkoop Genazino/Knorr. Das war wirtschaftlich zwar nicht sehr erfolgreich, eher ein „Über-Wasser-Halten“, aber eine ganz wunderbare Erfahrung. Erst danach habe ich mich mit Robert Gernhardt und Bernd Eilert zusammengetan und damit fing dann auch der wirtschaftliche Erfolg an. Wir waren sehr schnell und sehr effizient. Auch darin, mit ausgedachten Pointen einander zum Lachen zu bringen. Da habe ich gemerkt, dass das Team für mich tatsächlich die effizienteste Form der Kreativität ist.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Otto Waalkes?
Otto kam irgendwann zu uns, nachdem er schon vorher gelegentlich Witze von uns aus Pardon übernommen hatte, und fragte uns, ob wir was für ihn hätten. Und wir hatten. Daraus entstand eine 30 Jahre dauernde Zusammenarbeit – unter anderem für „Otto – der Film“, den erfolgreichsten deutschsprachigen Film mit mehr als 14 Millionen Zuschauern. Das hat einfach sehr gut zusammengepasst und wir sind bis heute gut befreundet. Erst letztes Jahr kam Otto zu meinem Geburtstag als Überraschungsgast und hat eine ganz wunderbare Show abgeliefert. Das war einfach klasse.
Und dann gab es ja auch noch eine weitere erfolgreiche Zusammenarbeit, nämlich mit dem Zeichner Hans Traxler. Die war im Gegensatz zum Otto-Nonsens aber eher politischer Natur...
Sie meinen, als wir Helmut Kohl zur „Birne“ machten? Ja, das kannte in der Zeit wahrscheinlich jeder und das Buch war sogar ein richtiger Bestseller. Etwas schade war nur, dass die Figur dann so vereinnahmt wurde. Spätestens als die Junge Union auf Wahlplakaten mit der Birne Reklame machte, war die Figur für uns natürlich tot. Und Sie haben recht: Vieles, was ich in meinem Leben gemacht habe, vor allem für Otto, war ziemlich unpolitisch, obwohl ich eigentlich mit politischem Kabarett während meines Studiums angefangen habe. Aber irgendwann habe ich einfach festgestellt, dass Satire und eine gute Pointe auch ohne politische Botschaft sehr gut funktionieren.
Sie sind Mitbegründer der Titanic und gelten heute als deren „Elder Statesman“. Von dem Magazin sagt man gerne, dass es früher besser gewesen sei, was natürlich auch mit dem oft verklärenden Blick auf die Vergangenheit zu tun haben kann. Wie begleiten Sie die Entwicklung der Titanic?
Überhaupt keine Frage: Früher war sie natürlich besser. Schon alleine deshalb, weil ich selber mitgeschrieben habe. Aber im Ernst: Ich bin unfähig, ein objektives Urteil darüber abzugeben, was da derzeit passiert. Und es ist auch völlig wurscht, wie es mir gefällt, denn ich gehöre einfach nicht mehr zur Zielgruppe. Manche Anspielung verstehe ich schon gar nicht mehr.
Sie haben nach Ihrer aktiven Zeit auch noch lange als Mitherausgeber für das wirtschaftliche Überleben des Magazins gekämpft – mit Erfolg. Ärgern Sie sich auch mal über Dinge, die Ihre Nachfolger dort verzapfen?
Mal? Ständig! Einem Chefredakteur habe ich sogar mal an den Kopf geworfen, dass das Titelblatt Sabotage am Heft wäre. Kritik, auch scharfe, gehört einfach dazu. Aber insgesamt machen die Jungs dort natürlich einen ganz hervorragenden Job.
Und wie geht es mit Opa Corona weiter? Bereits am 10. Mai gab es ein Krisengespräch zwischen Ihnen und Ihrem Alter Ego Opa Corona, weil der keine Lust mehr hatte, weiter zu dichten: Der Autor stellt sich stur / Er schreibe wirklich nur, / wenn es sehr dringend sei. / Und das sei nun vorbei.
Wahrscheinlich werde ich Opa Corona über kurz oder lang auslaufen lassen. Ich hoffe zwar, dass mein Schaffensdrang weiter anhält, aber es müssen nicht unbedingt diese Gedichte sein. Es war aufregend schön, mal wieder so in die Arbeit vertieft zu sein, das muss ich zugeben. Nachts aufzuwachen, weil man irgendeine Idee hat. Auf langen Spaziergängen an Reimen zu feilen. All das würde ich mir eigentlich gerne erhalten. Allerdings muss ich zugeben, dass ich nicht der Typ bin, der ohne äußeren Druck auf Dauer sonderlich fleißig bleibt.
von Martin Schmitz-Kuhl (30.06.2020)