Eine beliebte Frau
Ein Spaziergang mit der Autorin Nele Neuhaus – kurz bevor auch ihr neues Werk „Im Wald“ mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wieder die Bestsellerliste stürmen wird.
Wir treffen uns auf dem Parkplatz des Naturfreundehauses Billtalhöhe bei Königstein im Taunus. Unweit des Gebäudes, auf einem etwas heruntergekommenen Campingplatz mitten im Wald, ist ein Mord geschehen. Brutal, kaltblütig. Von der verkohlten Leiche blieb nur noch ein unförmiger Haufen aus Geweberesten und Knochen übrig, der Rest fiel den Flammen zum Opfer. Doch der Rauch und der beißende Geruch hat sich längst verzogen. Was daran liegen mag, dass es ihn ohnehin nur in der Fantasie von Nele Neuhaus gab. Und so viel sei vorab verraten: In dem neuen Fall von Pia Sander, ehem. Kirchhoff, und Oliver von Bodenstein mit dem Titel „Im Wald“ wird es bei diesem einen Mord nicht bleiben. Es gibt viel zu tun für das berühmte Ermittlerduo vom K11, der Mordkommission in Hofheim.
Es ist ein herrlicher Spätsommertag. Die Sonnenstrahlen finden vereinzelt ihren Weg durch die dicht stehenden Tannen. „Hier oben gibt es keine lichten Laubwälder mehr, alles ist düster und etwas mystisch“, erklärt Neuhaus, während sie uns auf dem Spaziergang den Tatort zeigt. Sie kennt die Gegend hier, ebenso wie all die anderen Schauplätze ihrer Krimireihe, von klein auf. Unzählige Male ist sie zum Beispiel durch diesen Wald geritten, hat genau in diesem Naturfreundehaus eine Rast gemacht. Wenn sie für ihre Krimis recherchiert, muss sie daher eigentlich nur ihre Erinnerungen bemühen. Allein für die Schilderung der Polizeiarbeit und vor allem für die Arbeit der Rechtsmedizin ist Neuhaus auf externe Unterstützung angewiesen. Schließlich muss man wissen, wie sich zum Beispiel der Körper eines Menschen unter großer Hitzeeinwirkung verformt (Stichwort: „Fechterstellung“), wenn man darüber berichten will. „Letztes Jahr wurde ich für meine sorgfältige Recherche vom Polizeipräsidium in Wiesbaden offiziell zum ‚Kriminalkommissar ehrenhalber’ ernannt“, erzählt sie stolz. Die Urkunde habe bei ihr zu Hause einen Ehrenplatz bekommen.
Bescheiden, bodenständig, offen, freundlich, allürenfrei. Vielleicht sind es diese Adjektive, mit denen man Nele Neuhaus am treffendsten beschreiben könnte, wenn es nicht so furchtbar langweilig klänge. Und doch ist genau das bemerkenswert. Denn Neuhaus ist ein Star. Vermutlich haben alle Autoren, die wir hier bislang vorgestellt haben, zusammen nicht so viele Bücher verkauft wie Neuhaus – und wir haben bei Bookster bereits sehr viele erfolgreiche Menschen porträtiert, darunter hochdekorierte Schriftsteller wie Frank Witzel (Deutscher Buchpreis) oder Wilhelm Genazino (Georg-Büchner-Preis), aber auch Bestsellerautoren wie Matthias Altenburg. Doch so viele Bücher wie Neuhaus verkauft niemand – was nicht zuletzt an ihrem enormen Output liegt. So schreibt sie nicht nur Taunuskrimis (mehr als sieben Millionen verkaufte Exemplare, übersetzt in mehr als 30 Sprachen), sondern auch sehr erfolgreiche Unterhaltungs- sowie Mädchenpferderomane. „Übrigens, ‚Elena – Ein Leben für Pferde’ wird demnächst fürs Kino verfilmt“, berichtet sie so nebenbei. Und dann: „Wenn es gut läuft, brauche ich für einen Elena-Band nicht mehr als vier Wochen. Das kann ich einfach so runterschreiben.“
Während die Geschichten von Nele Neuhaus, unabhängig vom jeweiligen Genre, alle möglichst authentisch sein sollen, klingt ihre eigene Geschichte eher etwas märchenhaft. So wuchs sie in einem konservativen Elternhaus auf, der Vater war viele Jahre Landrat des Main-Taunus-Kreises. Sie selbst besuchte eine private katholische Mädchenschule, auf der sie unglücklich war. Bereits mit 21 Jahren lernte sie auf einem Reitturnier einen deutlich älteren Mann kennen und lieben, der sich im Nachhinein jedoch nicht als Märchenprinz entpuppte. Jahrelang arbeitete sie in seiner Wurstfabrik mit, für ihre Leidenschaft, das Schreiben, hatte er keinerlei Verständnis. Auch die Verlage wollten nichts von ihr wissen. Doch Neuhaus ließ sich nicht von ihrem Weg abbringen, druckte ihre ersten Bücher auf eigene Rechnung, verkaufte und vermarktete sie selbst – und fand wider Erwarten ihre Leser. Was folgte, war ein beispielloser Erfolg, die Trennung von ihrem ignoranten Mann und ein romantisches Happy End, wie man es sich nicht schmalziger hätte ausdenken können. Nur dass auch diesmal nicht ein Prinz auf einem weißen Schimmel angaloppiert kam – aber ein smarter Banker, der auf einem Motorrad angebraust kommt, klingt ja kaum weniger märchenhaft. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
Entwaffnend ehrlich ist Neuhaus, wenn man sie auf die Kritik anspricht, ihre Art von Literatur sei ja nur seichte Unterhaltung. („Anspruchsvolle Literatur kann ich nicht. Lese ich aber auch nicht.“) Es wäre aber auch falsch, ihr deshalb das Können abzusprechen. Denn das, was sie macht, macht sie richtig gut – und immer besser. Wer lesen will, wie sich die Autodidaktin Neuhaus im Laufe weniger Jahre verbessert hat, lese nur den ersten und den letzten Teil ihrer Taunuskrimi-Reihe. So war „Eine unbeliebte Frau“ dramaturgisch, sprachlich und stilistisch noch relativ schlicht und konventionell geschrieben. Auf fast 400 Seiten befragt das Ermittlerduo einen Zeugen nach dem anderen, bis der Fall endlich gelöst wird. Am Ende ist man zwar nicht gelangweilt, aber doch froh, dass die beiden nicht noch einen weiteren Verdächtigen in die Zange nehmen müssen. Der neue Krimi ist dagegen ganz anders. Ein „Quantensprung“, wie sie selbst meint. „Im Wald“ ist sehr dicht geschrieben, hat mehrere Erzählperspektiven, zwei Zeitebenen und äußerst lebendig gezeichnete Figuren. Vor allem jedoch: Es ist spannend von der ersten bis zur letzten Seite. Oder zumindest bis zu Seite 546, denn erst dann, zehn Seiten vor dem „ENDE“, erfährt der Leser, wer der Bösewicht ist.
Doch zurück zum Tatort. Während wir durch den Wald schlendern, erzählt Neuhaus von der anstehenden Buchpremiere in der Stadthalle Oberursel. Die Halle fasst 920 Menschen und ist doch bereits seit Wochen ausverkauft. Der Erlös geht komplett an das Mädchenhaus in Frankfurt – eines von vielen karitativen Projekten der 49-Jährigen, die dafür sogar eigens eine Stiftung gegründet hat. Ob sie denn der Erfolg verändert habe, wollen wir noch wissen. Neuhaus schüttelt den Kopf. Sie habe durch den Erfolg nur eine Unabhängigkeit und Freiheit gewonnen, die sie sehr zu schätzen wisse. Letztlich sei sie aber die Gleiche geblieben. Was nicht zuletzt daran läge, dass sie immer noch nicht recht glauben könne, dass das alles wirklich wahr ist. „Ich wache morgens manchmal immer noch auf und frage mich, ob ich das nicht vielleicht alles geträumt habe.“
von Martin Schmitz-Kuhl (27.09.2016)