Die Stadtschreiber-Statthalterin
Seit 36 Jahren bildet Monika Steinkopf mit ihrer „Berger Bücherstube“ die Schaltzentrale rund um den „Stadtschreiber von Bergen“ – und hat dazu beigetragen, dass aus Bergen-Enkheim eine literarische Insel geworden ist.
Wer sich schon einmal Ende August aufgemacht hat, um im Festzelt auf dem „Berger Markt“ im Nordosten Frankfurts bei Bier und Apfelwein die Einführung des „Stadtschreibers von Bergen“ zu erleben, wird höchstwahrscheinlich dieser Dame begegnet sein: Monika Steinkopf. Jedes Jahr steht sie am Büchertisch mit den Werken der Stadtschreiber parat. Die Buchhändlerin ist so etwas wie die Statthalterin des Stadtschreibers, die literarische Schaltzentrale des Städtchens: Der Stadtschreiber, die Bürger, die Journalisten, die Neugierigen, alle kommen sie in die „Berger Bücherstube“ an der Stadthalle. Hier lassen sich die Werke der Stadtschreiber erwerben, hier finden Lesungen statt, hier kann man sich über die Begebenheiten und Termine rund ums Buch informieren. Summa summarum: Dass aus dem Fachwerk-Örtchen Bergen-Enkheim eine wahre literarische Insel vor den Toren der Finanzmetropole geworden ist, in der Anspruchsvolles gelesen und diskutiert wird, ist zu einem Großteil ihrem Engagement zu verdanken.
Dass Monika Steinkopf und Bergen-Enkheim zusammengefunden haben, ist alles andere als ein Zufall – und hat natürlich auch etwas mit dem Stadtschreiberpreis zu tun. In Hamburg geboren und aufgewachsen, zeigte sich die Tochter von einem Architekten und einer Grafikerin schnell als zupackende und interessierte Persönlichkeit, die ihre Ausbildung im Buch- und Kunsthandel absolvierte. So zog sie aus, um den deutschen Buchhandel vom Norden bis in den Süden, von Hamburg über Freiburg bis nach München kennenzulernen. Schließlich folgte sie 1976 dem Ruf nach Frankfurt, um in der Buchhandlung Harksen auf der Goethestraße zu arbeiten – wo zu dieser Zeit, man mag es kaum glauben, noch fünf weitere Buchhandlungen beheimatet waren – und darüber hinaus an der Buchhändlerschule in Seckbach als Gastdozentin zu unterrichten.
Frankfurt war zu jener Zeit Hochburg des intellektuellen Lebens der Republik, hier wurde protestiert, debattiert, geschrieben. Einer, der sich inmitten dieser hochprozentigen Gemengelage aufhielt, war der Schriftsteller und Journalist Franz Joseph Schneider. Unterstützt von Heinrich Böll und Marcel Reich-Ranicki, wollte Schneider, der auch Mitglied der Gruppe 47 war und in Bergen-Enkheim lebte, seinen Kollegen ein Jahr lang ermöglichen, sorgenfrei zu leben und zu arbeiten. 1974 – noch vor der Eingemeindung im Jahr 1977 durch Frankfurt – übernahm Wolfgang Koeppen als erster „Stadtschreiber von Bergen“ das Amt.
Seit 1974 kommen bedeutende Vertreter der deutschen Literatur ins Stadtschreiberhaus an der Berger Oberpforte, erhalten dort für ein Jahr kostenfrei Logis und einen mit 20.000 Euro dotierten Unterhalt: ob Wolfang Koeppen, Peter Rühmkorf oder Peter Härtling, ob Helga M. Novak, Wilhelm Genazino oder Arnold Stadler, ob Katharina Hacker, Reinhard Jirgl, Marcel Beyer und zuletzt Angelika Klüssendorf. Diese Sorgenfreiheit ist zudem gepaart mit der Entbindung von Pflichten, oder wie es Jörg Steiner, Stadtschreiber von 1987/88, formulierte: „Wer es annimmt, lässt sich darauf ein, hier nichts müssen zu müssen, aber aus freiem Entschluss alles dürfen zu dürfen.“
Damals stand auch eine Buchhandlung auf der „Wunschliste“ der Bergen-Enkheimer. Und so kam man auf Monika Steinkopf zu – die dort 1978 ihre Buchhandlung gleich mit einer schönen Idee eröffnete: und zwar mit der Herausgabe der „Poetischen Blätter des Stadtschreibers von Bergen“ – limitierte, handgedruckte Bögen mit einem Text des jeweiligen Stadtschreibers, die sie noch um die „Graphischen Editionen“ – allerdings nur der ersten zehn Stadtschreiber – ergänzte.
Die Berger Buchhändlerin, seit einigen Jahren auch Mitglied der Stadtschreiber-Jury, begleitet neben der städtischen Kulturgesellschaft und Adrienne Schneider, der Tochter des Gründers, den Literaten-Gast aber nicht nur über das Jahr hinweg und bildet so das Scharnier zwischen den Bürgern und „ihrem“ Schriftsteller, sie hatte auch die Idee zu einem Stadtschreiber-Archiv, das seit 2009 wissenschaftlich aufbereitet wird. Ein Teil ihrer Sammlung an Autographen, Zeitungsausschnitten, Korrespondenzen, Fotos und Anekdoten war jüngst in der Ausstellung „40 Jahre Stadtschreiber von Bergen“ in der Zentralbibliothek in Frankfurt zu sehen. Zudem gewähren die beiden Hörbücher, die sie anlässlich des 30sten und 40sten Stadtschreiber-Jubiläums mit dem Hessischen Rundfunk herausgegeben hat, einen seltenen, mit Originaltönen der Schriftsteller und Steinkopfs persönlichen Eindrücken gespickten Einblick ins Stadtschreiberamt.
So erzählt sie mit Sinn fürs Detail, dass der erste Stadtschreiber, Wolfgang Koeppen, ein Schild mit der Aufschrift „Sprechzeiten um Mitternacht“ anbringen wollte, der Schweizer Dichter Peter Bichsel die Kneipen „kontrollierte“ und Peter Härtling mit Schulkindern einen Ginkgobaum im Garten des Hauses pflanzte, der da heute noch steht. Vor allem die Frankfurter Schriftsteller wie Eva Demski, Wilhelm Genazino oder Robert Gernhardt hätten besonders deutliche Spuren hinterlassen, weiß Steinkopf, etwa Eva Demski, die aus dem Stadtschreiberhaus einen Literatursalon machte, oder Robert Gernhardt, den der Fratzenstein am Berger Rathaus zu einem Gedicht inspirierte. Dass Max Frisch anlässlich der Rede auf Peter Bichsel ins Städtchen kam und in Steinkopfs Bücherstube signierte, ist unverkennbar das Sahnehäubchen im Reigen der vielen Geschichten – und bringt die Buchhändlerin heute noch ins Schwärmen.
Als wären ihre Bücherstube und das Engagement um die Stadtschreiberei nicht genug, tritt die 76-Jährige auch selbst als Herausgeberin von Kunstbüchern in Erscheinung: 2008 veröffentlichte sie „Ton und Krüge“ in der Insel Bücherei – sie stellt in ihrer Bücherstube auch Arbeiten bedeutender Keramiker aus. Pünktlich zur Buchmesse 2014 erscheint „Gold – Mythos in Kunst und Dichtung“ bei Reclam, ihr zweites Buch, das ebenso wie ihr erstes literarisches Gedankengut, dieses Mal aber rund ums Edelmetall versammelt.
Abgesehen von ihrem „Amt“ als „Stadt-Schreiber-Halterin“ ist Monika Steinkopf eine sympathische Buchhändlerin und eine ausgesuchte Kennerin ihres Fachs, mit der man sich herrlich über Literatur und das aktuelle Feuilleton austauschen kann. Besucht man ihren Laden, so geht man meist mit einem Buch in der Hand und dem heiteren guten Gefühl, die Literatur könne wirklich die Welt ein wenig besser machen, wieder hinaus. „Lest, um zu leben“ steht auf dem Lesezeichen ihrer Buchhandlung – in der Berger Bücherstube von Monika Steinkopf wird dieser Spruch von Gustave Flaubert nur allzu wahr.
von Martina Metzner (23.09.2014)