Gestalten statt klagen!
Der Buchhandel führte lange Zeit ein recht geschütztes Leben – unter anderem aufgrund der Buchpreisbindung. Dann kam die Schlange Amazon und der stationäre Handel drohte wie das Kaninchen zu erstarren. Den notwendigen Wandel der Branche unterstützt der mediacampus frankfurt mit Aus- und Weiterbildungsangeboten. Ein Interview mit der Geschäftsführerin Monika Kolb-Klausch.
Ich beginne mit einer steilen These: Amazon ist unter anderem deshalb so erfolgreich, weil dort die Beratung besser ist.
Dann haben Sie entweder großes Glück mit dem Amazon-Algorithmus oder großes Pech mit den von Ihnen besuchten Buchhandlungen. In der Regel ist nämlich die Beratung in den Buchhandlungen sehr gut.
Das müssen Sie ja jetzt sagen, schließlich bildet der mediacampus und sein Vorgänger, die Buchhändlerschule, schon seit über fünfzig Jahren den kompletten deutschen Buchhandel aus.
Nein, das sage ich, weil ich wirklich davon überzeugt bin. Und wir bilden übrigens nicht alle Buchhändler aus. Die Auszubildenden können auch eine staatliche Berufsschule vor Ort besuchen. Wir sind ein privates und staatlich anerkanntes Bildungsunternehmen, das für seine hochwertige Ausbildung bekannt ist. Die Auszubildenden kommen zwei Mal für jeweils neun Wochen nach Seckbach, lernen und leben gemeinsam auf dem Campus. Wesentliche Aspekte unseres pädagogischen Konzepts sind neben der Vermittlung des prüfungsrelevanten Fachwissens vor allem die direkte Anwendbarkeit des Erlernten im beruflichen Alltag durch Praxisnähe und Handlungsorientierung. Wir haben hier beispielsweise auch eine Lehrbuchhandlung, die eine wirklichkeitsgetreue Simulation sämtlicher Vorgänge im Sortimentsbuchhandel ermöglicht. Die so ausgebildeten Mitarbeiter werden dem Buchhandel auch in Zukunft eine nachhaltige Wertschöpfung ermöglichen.
Das klingt gut, scheint der Branche aber noch nicht so recht geholfen zu haben. Die Lage im stationären Buchhandel ist nach wie vor von Schließungen gekennzeichnet.
Zuerst einmal muss man sagen, dass die Entwicklung gar nicht so negativ ist. Natürlich gibt es differenzierte Entwicklungen. Aber der Ausbau des Online-Geschäfts, die Konzentration auf die Beratung als klassische Kompetenz des stationären Handels und das E-Book-Geschäft machen sich inzwischen positiv bemerkbar und im letzten Jahr konnte der Umsatz im Sortimentsbuchhandel um ein knappes Prozent auf 4,64 Milliarden Euro gesteigert werden. Verglichen mit den anderen Kanälen, wie dem Internet- und Versandbuchhandel, hat er damit immer noch den größten Anteil am Gesamtumsatz von insgesamt 9,5 Milliarden Euro. Von dieser positiven Entwicklung einmal abgesehen finde ich, dass gerne zu schnell geklagt wird. Die Branche befindet sich im Wandel. Das ist ein ganz normaler Vorgang in der Wirtschaft. Eine Buchhandlung ist schließlich kein öffentlich gefördertes Refugium für Literatur, sondern ein Wirtschaftsbetrieb, der sich an den Anforderungen des Marktes ausrichten muss.
Mit so einer Aussage machen Sie sich in der Branche aber wahrscheinlich nicht nur Freunde. Und kann es sein, dass diese Einsicht bei der Berufswahl nicht immer so klar ist?
Den Eindruck habe ich nicht, wenn ich mir unsere Schüler anschaue. Die meisten wissen ziemlich genau, auf was sie sich einlassen. Ein guter Buchhändler muss Bücher lieben, das ist Grundvoraussetzung, so wie ein Kfz-Mechaniker ein Faible für Autos haben sollte. Hinzu kommt, dass er auch Menschen lieben muss. Er muss Spaß an der Beratung haben und auch kaufmännisch denken können. Gegenwind habe ich zu Beginn meiner Arbeit tatsächlich gespürt, als ich vor mittlerweile sieben Jahren als Quereinsteigerin hier angefangen habe. Da hieß es, ich wollte die Literatur in der Ausbildung abschaffen, was natürlich völliger Unsinn war. Beispielsweise unterrichten hier großartige Leute wie Dr. Norbert Abels, Chefdramaturg an der Oper Frankfurt und Professor an der Goethe-Uni, der das Fach Weltliteratur verantwortet. Das tun wir ganz selbstverständlich, obwohl der Rahmenlehrplan es nicht mehr vorsieht! Wir professionalisierten das Veranstaltungswesen. Mittlerweile führen wir bis zu 80 – teilweise sehr literarische – Veranstaltungen pro Jahr auf dem Campus durch. Viele hochkarätige Schriftsteller und Vermittler sind ständig bei uns. Insgesamt geht es mir darum, Begeisterung zu entfachen, tragfähige Zukunftskonzepte vorzustellen und sie didaktisch bestmöglich zu vermitteln.
Wie war denn die Situation, als Sie 2007 den mediacampus übernommen haben?
Die Buchhändlerschule führte ein beschauliches Dasein. Wenig Innovationen, schlechte Zahlen, eine sinkende Auslastung und ein angeschlagenes Image. 2009 haben wir dann die Schulen des Deutschen Buchhandels in den mediacampus frankfurt umgewandelt, mit einem neuen Konzept und einer neuen CI. Für das Kreativkonzept haben wir damals übrigens den BuchMarkt-Award in der Kategorie „Newcomer des Jahres“ erhalten. Und schwarze Zahlen schreiben wir auch.
Letztendlich passiert hier auf diesem 13.000 m² großen Gelände mit elf Unterrichts- und Seminarräumen, 77 Übernachtungszimmern, einer Mensa, einer Cafeteria sowie zwei Lounges für Veranstaltungen ja auch noch deutlich mehr als nur die Buchhändlerausbildung.
Richtig. Wir bilden nicht nur angehende Buchhändler und Medienkaufleute digital und print aus. Seit 2010 bieten wir auch einen berufs- und ausbildungsbegleitenden Bachelor-Studiengang für die Buch- und Medienbranche an. Ein Masterstudiengang wird folgen. Außerdem gibt es die Fortbildung zum „Fachwirt des Buchhandels (IHK)“ sowie den Fernlehrgang „Die Grundlagen des Buchhandels. Fit für die Praxis!“. Zudem werden offene Seminare und exklusive Qualifizierungs- und Personalentwicklungskonzepte als Inhouse-Schulungen angeboten. Und es finden hier auch viele externe Branchenveranstaltungen statt.
Nochmal zur Zukunft des Buchhandels: Würden Sie jungen Menschen nach wie vor guten Gewissens zu einer Buchhändlerausbildung raten?
Uneingeschränkt ja! Vorausgesetzt sie bringen die beschriebenen Fähigkeiten und Empathie mit. Schauen Sie, ich habe gerade zwei unserer Absolventinnen besucht, die eine Buchhandlung gegründet haben. Ein wunderbares und kreatives Konzept! Sie sind sehr zufrieden, auch mit der wirtschaftlichen Entwicklung. Aber von nichts kommt nichts. Engagement, neue Ideen und Spaß an der Arbeit sind natürlich schon gefragt. Wir haben hier in Deutschland die Buchpreisbindung, über die wir alle sehr glücklich sind. Das ist doch ein riesiger Vorteil gegenüber anderen Branchen im Kampf gegen reine Online-Versender. Und das Lieferargument, als mögliches Alleinstellungsmerkmal der Onliner, zieht aus meiner Sicht auch nicht. Beispielsweise liefert Osiander, die hier in Frankfurt im Skyline Plaza eine Filiale haben, mit „Greenbooks“ per Fahrradkurier Online-Bestellungen portofrei am nächsten Werktag aus. Wozu brauche ich dann eigentlich noch Amazon?!
Was würden Sie sonst noch anbieten außer Lieferservice, wenn Sie eine Buchhandlung betreiben würden?
Als ich 19 Jahre alt war, habe ich mich zunächst erfolgreich mit einer Crêperie selbstständig gemacht. Dabei habe ich gelernt, dass es schon mehr braucht, als ein gutes Produkt anzubieten. Das Gesamtpaket muss stimmen. Bei einer Buchhandlung kommt es ganz darauf an, wie das Umfeld ausschaut. Welche Zielgruppen habe ich, wie ist meine Positionierung? Wichtig sind schon einmal Verkaufsräume mit entsprechender Atmosphäre. Ich muss ein guter Gastgeber sein. Die Kommunikation und der persönliche Kontakt, gepaart mit Kompetenz, sind das größte Pfund, mit dem der stationäre Handel trumpfen kann. Und dann sind Zusatzleistungen wie Autorenlesungen und Veranstaltungen wichtig. Alles Dinge, die man hier auf dem mediacampus lernen kann.
Letzte Frage: Was würden Sie sich für den stationären Buchhandel wünschen?
Mehr positives Denken und Flexibilität, den Willen zur Veränderung und sich nicht vor Neuem verschließen – wer sich den Marktanforderungen anpasst, hat nicht nur einen wunderschönen Beruf, sondern auch ein einträgliches Auskommen. Und ohne jetzt in eine Medienschelte zu verfallen, würde ich mir von Journalisten wünschen, dass sie nicht nur einem vermeintlich negativen Trend hinterherschreiben, sondern die Entwicklung dieser wirtschaftlich bedeutenden Branche mit ihren vielen positiven Aspekten differenziert begleiten.
von Ulrich Erler (11.11.2014)