Die Herren Altenburg, Seghers und Marthaler
Mord und Totschlag laufen einfach gut. Wenn Matthias Altenburg seinen Kommissar Marthaler ermitteln lässt, tut er dies unter dem Pseudonym Jan Seghers. Auf Hausbesuch bei Frankfurts erfolgreichstem Krimiautor.
Matthias Altenburg ist eine Zumutung für seine Umwelt, zumindest dann, wenn er sich in der Endphase eines Romanes befindet. Das sagt er jedenfalls von sich: „Falls ich überhaupt noch zuhöre, dann nur noch nach dem Prinzip der Nützlichkeit. Ich frage mich, ob ich das, was gesagt wird, für den Roman verwenden kann. Ansonsten interessiert es mich nicht.“ Bei unserem Treffen überwiegt jedoch die Erleichterung über den gerade fertig gewordenen neuen Frankfurt-Krimi, den er wieder unter dem Pseudonym Jan Seghers veröffentlicht. So sitze ich einem zwar erschöpften, aber aufgeräumten Matthias Altenburg gegenüber, der aufmerksam zuhört und bereitwillig Auskunft gibt über sein Leben und Schreiben.
Altenburg lebt mit Frau und Tochter in einer dieser geschichtslosen Neubausiedlungen am Stadtrand von Frankfurt, in denen sich vorwiegend junge Familien ballen. Nur die zwei mehr oder weniger angrenzenden Friedhöfe erinnern hier an Vergänglichkeit – wenn man dafür offen ist. Altenburg ist es. Am Esstisch seines Reihenhauses vermittelt er schon bald den Eindruck, dass er sich seinen toten Nachbarn näher fühlt als seinen lebenden. Er geht gern auf Friedhöfen spazieren. Nicht nur in Frankfurt. „In Paris war ich nirgendwo häufiger als auf den Friedhöfen“, erzählt der frankophile Schriftsteller. Er hält es für unabdingbar, sich mit den Vorfahren auseinanderzusetzen und sucht auf dem Friedhof nicht nur Ruhe, sondern auch die Nähe zu konkreten Toten, zum Beispiel zu Matthias Beltz. Altenburg fühlt sich dem Kabarettisten verbunden. Darum freut es ihn auch, dass der kleine Friedberger Platz im Nordend in Matthias-Beltz-Platz umbenannt wurde. Früher befand sich hier die Praxis von Altenburgs Zahnärztin, die plötzlich verschwand und damit den Ausgangspunkt für seinen zweiten Krimi „Die Braut im Schnee“ lieferte.
Konkrete Orte sind für Matthias Altenburg wichtige Inspirationsquellen bei der Entwicklung seiner Krimihandlungen. Meist hat er eine bestimmte Szenerie vor Augen, von der aus die Romanhandlung ihren Lauf nimmt. Bevor er mit der Arbeit an seinem gerade fertig gewordenen Krimi „Die Sterntaler-Verschwörung“ begann, hatte er das Bild eines gutaussehenden Mannes im Kopf, der vor einem Haus steht und über eine abschüssige Wiese auf eine Straße schaut, auf der sich ein Motorrad nähert. Das Motorrad überschlägt sich, der Fahrer stirbt und Hauptkommissar Marthaler hat seinen fünften Fall zu lösen. Er spielt in der Zeit der hessischen Landtagswahl 2008 und thematisiert die Angst der Landesregierung vor einem Linksbündnis, das die Pläne zum Flughafenausbau kippen könnte. Es ging um viel Geld, Verrat und Intrigen; zahlreiche Personen und damit potenzielle Schuldige waren involviert – ein Schlachtfest für einen Krimiautoren.
Hauptkommissar Marthaler wohnt auf der oberen Günthersburgallee im östlichen Nordend – einem Viertel, in dem der Autor selbst lange gelebt hat. Es ist eine der am stärksten von Gentrifizierung betroffenen Gegenden Frankfurts. Mieten und Immobilienpreise sind in den letzten Jahren exorbitant gestiegen, alteingesessene Mieter und Mieterinnen werden vertrieben und Wohlhabende ziehen ein. Veränderungen, die Altenburg mit großem Unbehagen beobachtet: „Anfang der 2000er-Jahre war ich kurz davor, aus der Stadt rauszuziehen. Es war die Zeit, in der die Autos im Nordend immer größer und teurer wurden und man das Gefühl hatte, Ältere und Schwächere würden jeden Moment vom Bürgersteig geschubst.“ Es ist seinem Fahrrad und den Recherchen für seine Krimis zu verdanken, dass er noch immer in Frankfurt lebt. Diese haben ihn immer öfter an die Ränder der Stadt gebracht und ihm Begegnungen ermöglicht, zu denen es im Nordend niemals gekommen wäre. Die entdeckten Orte und unverhofften Erlebnisse haben Altenburg mit Frankfurt ausgesöhnt. Er ist geblieben und zu Frankfurts wohl bekanntestem Krimiautor geworden.
Die Aufregung über einen neu erschienenen Roman habe über die Jahre etwas nachgelassen, erzählt Altenburg. Nach der Fertigstellung des letzten Romans sei er sogar so ausgelaugt gewesen, dass sich kaum Freude über das Erscheinen eingestellt habe. Das sei diesmal aber wieder anders. Er hat auch bereits eine Szenerie für seinen nächsten Krimi im Kopf, doch jetzt möchte er sich erstmal vom Schreiben erholen. „Wenn ich lange geschrieben habe, bekomme ich Ekel vor Worten. Dann will ich nur noch schauen, ohne dass was erklärt wird. Ich bin ein hemmungsloser Voyeur“, bekennt er. Um nach intensiven Schreibphasen seinen Voyeurismus zu befriedigen, geht Altenburg gern ins Städel und betrachtet die Gemälde. Von Worten lässt er sich dabei in diesen Zeiten nicht ablenken. Nicht einmal die Titel der Gemälde lese er dann.
Neben der bildenden Kunst hält die Musik für Altenburg wertvolle Momente der Erholung bereit. Selbst angeblich vollkommen unmusikalisch, freut er sich über Gelegenheiten, gemeinsam mit den Musikern Atilla Korap und Adrian Wille aufzutreten. Altenburg liest dann eine Auswahl von mehr oder weniger bekannten Texten aus den letzten Jahrhunderten und die beiden anderen spielen Gitarre. „Die Musik verändert die Texte“, erklärt der Schriftsteller. „Sie lässt Altbekanntes anders klingen und eröffnet neue Dimensionen. Das genieße ich.“ „Was aber ist die Liebe – von Luther bis heute“ heißt das aktuelle Programm, mit dem die drei gelegentlich auftreten. Jetzt aber wird Altenburg erst einmal mit Kommissar Marthaler durch Deutschland reisen und seinen neuen Krimi vorstellen.
Nachdem sich der Ekel vor Worten gelegt hat, freut sich Altenburg auch, selbst wieder zum Lesen zu kommen. Ob in einem gedruckten Buch oder in dem E-Book, das neben ihm auf dem Tisch liegt, ist für ihn zweitrangig. „Ich habe ein pragmatisches Verhältnis zu Technik“, erklärt er. Vor allem beim Lesen französischsprachiger Texte liegen die Vorzüge des E-Books für ihn auf der Hand. Ein kurzer Klick erspart hier das Blättern im Wörterbuch und unterbricht so den Lesefluss kaum. Außerdem verhindert es, dass die Wohnung mit zu vielen Neuanschaffungen gedruckter Bücher vollgestopft wird. Technikbegeistert ist Matthias Altenburg jedoch durchaus nicht. Der Schriftsteller besitzt kein Smartphone, nicht einmal ein Handy, selbst das Festnetztelefon ist ihm eigentlich lästig. Während seiner Schreibphasen sollte man ihn am besten gar nicht anrufen. Wenn Altenburg um Worte auf dem Blatt ringt, braucht er keine aus dem Telefonhörer.
von Ramona Lenz (09.12.2014)