Tausend Jahre sind ein Tag
Ganz so schnell wie in diesem Songtitel von „Regenundmild“ vergeht die Zeit zwar auch im digitalen Zeitalter nicht, die Veränderungen, die mit ihr einhergehen, sind jedoch immens. Und teilweise zerstörend. Ob es nach der Musik- nun die Buchbranche erwischt, besprachen wir mit dem E-Book-Experten Jens Klingelhöfer.
Wie sieht es bei Klingelhöfers zu Hause aus? Die Bücherregale wurden abgeschafft und gelesen wird nur noch auf dem Monitor?
Das Buch hat es geschafft zu bleiben – im Gegensatz zu den CDs, die in der Tat abgeschafft wurden. Das ist vielleicht auch ein Sinnbild und letztendlich der Grund, warum ich in der Buchbranche gelandet und nicht in der Musikbranche geblieben bin. Denn die Koexistenz von Print und Digitalem funktioniert für mich beim Buch viel besser. Aber zugegeben: Ich kaufe viel weniger Bücher als früher und ich sortiere auch meine Regale viel radikaler aus.
Sie haben Ihre Tätigkeit in der Musikbranche eben erwähnt. Es wird oft über die Parallelen zu den Problemen der Buchbranche geredet. Viel spannender ist aber die Frage: Wo sind die Unterschiede?
Zum Beispiel kann man das Buch und die CD einfach nicht vergleichen. Das Buch ist ein richtig tolles Hightech-Produkt. Es funktioniert ohne Abspielgerät, ohne Batterie, ohne Licht. Da kann die CD überhaupt nicht mithalten, sie ist einfach nur ein hässliches Stück Plastik. Zweitens ist die Zielgruppe eine komplett andere. Die ist viel loyaler, hat mehr Geld und ein ganz anderes Verhältnis zur Piraterie. Und drittens war die Musikbranche auch schlicht und einfach die erste, die es erwischt hat – und die von der Digitalisierung wie von einem Tsunami mitgerissen wurde. Der Umsatz ist dort von 3,5 Milliarden Euro auf jetzt 1,5 Milliarden Euro geschrumpft. Das war wirklich Wahnsinn! Man stelle sich vor, das würde mit der Buchbranche passieren. Da wäre hier was ganz anderes los!
Was bedeutete das damals für Sie persönlich?
Ich selbst habe als junger Typ in unserem kleinen, mittelständischen Musikunternehmen unter diesem Wandel extrem gelitten. Wir haben zum Beispiel mal ein eigentlich erfolgreiches Album produziert und vermarktet; das wurde 20.000 Mal verkauft, aber gleichzeitig 400.000 Mal illegal runtergeladen. Da fragst du dich dann schon: Was mache ich hier eigentlich? Warum kriege ich für meine Arbeit keinen fairen Lohn?
Sind kostenpflichtige Streaminglösungen – wie Spotify – dann eine Antwort auf diese Frage?
Vielleicht war das die Antwort für die Industrie – aber nicht für die Kreativen. Denn bei den Künstlern kommt ja von den Erlösen bislang recht wenig an. Aber das ist natürlich auch ein Prozess, die Branche erfindet sich gerade komplett neu. Und wenn mit Diensten wie Spotify einhergeht, dass die Menschen wieder mehr Geld für Musik ausgeben, ist das vermutlich insgesamt ein Erfolg.
Sie sind finanziell an Readfy beteiligt, das nach dem Spotify-Prinzip funktioniert. Was verdiene ich als Autor, wenn dort jemand mein Buch liest?
Ich hatte vor ein paar Jahren mit zwei Partnern die Idee, so einen Buch-Streamingdienst zu entwickeln. Allerdings habe ich mich dann irgendwann entschlossen, mich operativ komplett zurückzuziehen und mich auf Bookwire zu konzentrieren. Von daher kann ich gar nicht sagen, wie das Vergütungsmodell genau geregelt ist. Ich weiß nur, dass wir damals viel darüber diskutiert haben, wie so etwas funktionieren könnte. Eine Buch-Flatrate würde ja ganz anders genutzt werden als ein Streaming von Musiktiteln, die man permanent hören kann und wo die Masse den Umsatz macht. Im Moment ist das Projekt in der Betaphase – und dann wird sich zeigen, ob sich daraus ein Geschäftsmodell ableiten lassen kann, das für Leser, Autoren und Verlage funktioniert.
Warum leihen eigentlich nicht noch viel mehr Menschen ihre E-Books in einer öffentlichen Bibliothek aus – das wäre dann ganz kostenlos?
Das hat was mit den Gewohnheiten zu tun. Der deutsche Leser will Bücher offenbar immer noch eher selbst erwerben und besitzen. In Amerika zum Beispiel ist das anders, dort ist das Leihen von Büchern in einer Public Library viel mehr verwurzelt. Hinzu kommt, dass es in einer Bibliothek nicht alle Bücher gibt und man vielleicht warten muss, bis das gewünschte Buch „zurückgegeben“ wurde. Das heißt, unter dem Strich sind die Bibliotheksdiente wie die „Onleihe“ von divibib einfach nicht so komfortabel und in die Lebenswelt der Menschen integriert wie beispielsweise Amazon.
Aber mit dem „Erwerben und Besitzen“ ist das bei E-Books ja eben so eine Sache. Wenn ich heute eine Bibliothek auf meinem Kindle anlege, verliere ich diese komplett, wenn ich mich irgendwann für einen anderen Reader entscheide.
Dieses Problem ist bei 99 Prozent der Amazon-Kunden noch nicht angekommen. Verrückterweise lässt sich bei dem „digitalen Kunden“ so etwas wie eine „gefühlte Freiheit“ herstellen – egal ob es sich um Google, Facebook oder Dropbox handelt. Man bindet sich an einen Anbieter, ist zufrieden, fühlt sich mit ihm wohl und merkt gar nicht, dass mit dem Angebot die eigene Freiheit auch eingeschränkt wird. Ich bin aber überzeugt, dass sich diese Haltung bald ändern wird. Spätestens wenn die ersten Kunden von Kindle zu Tolino wechseln wollen und feststellen, dass sie ihre Bücher nicht mitnehmen können. Damit werden sich die Gerichte in Zukunft ganz sicher noch beschäftigen. Noch fehlen einfach die Regeln für das digitale Spielfeld.
Volker Oppmann warnt in diesem Zusammenhang vor den Gefahren der Alleinmacht internationaler Konzerne wie Amazon und Apple. In dem Buch „Bücherdämmerung“ schreibt er: „Als Gesellschaft laufen wir damit Gefahr, die Hoheit über das Kulturgut Buch zu verlieren.“
Das unterschreibe ich sofort. Ich finde schon, dass wir uns als Gesellschaft überlegen müssen: Wieviel von den Spielregeln wollen wir eigentlich noch selbst bestimmen? Und wann muss man als Gesellschaft etwas anders organisieren, als es der freie Markt gerade regelt. Im Moment ist in der digitalen Welt ja nur „The winner takes it all“ angesagt. Alles zentralisiert sich bei dem, der es am besten macht – und das ist im Buchmarkt eben Amazon. Dem stehe ich extrem skeptisch gegenüber. Vielfalt hat noch nie geschadet.
Die Vielfalt bei den Geräten ist dagegen eher verwirrend. Auf der einen Seite gibt es Smartphones und Tablets, auf der anderen Seite E-Ink bzw. E-Reader. Was sind die Vor- und Nachteile? Und wer wird gewinnen?
Die Vorteile vom Tablet liegen auf der Hand: Mit dem Gerät kann ich alles machen, neben dem reinen Lesen. Und das waren dann auch schon die Vorteile. Denn Tablets sind eben nicht darauf ausgelegt, ein angenehmes Lesegerät zu sein. Das ist auch der Grund, warum zurzeit noch die Ink-Reader dominieren. Ihr Display ist viel papierähnlicher. Zudem sind sie deutlich leichter, die Akkulaufzeit ist um ein Vielfaches höher und sie sind vor allem sehr billig. Hinzu kommt, dass die Reader ja nicht von Teenies, sondern von einer älteren Zielgruppe gekauft werden, die wahrscheinlich auch ganz dankbar ist, so ein unkompliziertes Gerät zu bekommen, das eben nicht „alles“ kann. Langfristig bin ich aber nach wie vor davon überzeugt, dass die E-Reader irgendwann aussterben bzw. die Devices miteinander verschmelzen werden. Dazu werden wir noch eine große Anzahl neuer Devices erleben, man denke nur an das Auto oder den „smarten“ Fernseher oder tragbare Devices, die sogenannten „Wearables“.
Die Zukunft wird also noch einiges an Veränderung bringen – und vieles ist noch ungewiss. Haben Sie denn eine ungefähre Vorstellung davon, wie Bookwire im Jahre 2030 aussehen könnte?
Ich wäre verrückt, wenn ich jetzt glaubte zu wissen, wie der Markt und wie wir in 15 Jahren aussehen werden. Schauen Sie mal 15 Jahre zurück. Da war alles noch anders. Es gab Videotheken, wir hörten unsere Musik von CDs und telefonierten mit dicken Nokia-Knochenhandys. Und der Wandel wird doch immer schneller. Die Innovationsgeschwindigkeit ist ja nicht linear, sondern geht ja exponentiell steil nach oben. Das heißt, wenn ich ehrlich bin: Ich weiß noch nicht einmal, wie die Firma in fünf Jahren aussehen wird.
von Martin Schmitz-Kuhl (01.07.2014)