Wirbelwind der Offszene
In drei Jahren sind rund zehn Bücher von Jannis Plastargias erschienen. Dennoch gehört er weiterhin zur großen Schar der weitgehend unbekannten Autoren der Stadt. Wie macht man das: immer an sich zu glauben, vom Schreiben zu leben, sich selbst so gut wie möglich zu vermarkten?
Mit Autoren ist es wie mit Eisbergen. Unterhalb der Spitze der renommierten Namen, die weithin sichtbar herausragt, verbirgt sich eine gewaltige Masse der Unbekannten. In einer Stadt wie Frankfurt gibt es Unzählige, die Manuskripte in der Schublade haben, und viele, die bereits veröffentlicht haben, sei es ein Gedichtband im Selbstverlag oder ein Roman in digitaler Form, die erhoffte Beachtung gleichwohl noch nicht gefunden haben. Sie müssen auch ohne die Unterstützungen auskommen, die oberhalb der Wasserlinie greifen: Verlage, die die Bücher aktiv vermarkten, Kritiker, die sie rezensieren, Preise, die das kulturelle Kapital steigern, Stipendien, die das nächste Werk ermöglichen. Die weitgehend Unbekannten sind niemals nur Schriftsteller, sondern immer auch Marketingbeauftragte in eigener Sache. „Manchmal macht das großen Spaß. Und manchmal ist es enorm frustrierend“, sagt einer, der das Selbstmarketing mit Verve betreibt.
Jannis Plastargias lebt in einer kleinen WG-Wohnung im Nordend. Hier entstehen seine Romane und Kurzgeschichten, füttert er seinen Blog und organisiert er eine Fülle an Projekten. Sein Zimmer: moderne Kunst neben der Heiligen Maria neben chinesischen Schriftzeichen neben einem koffergroßen Flachbildschirm an der Wand. Es gibt keine Bücherregale, nicht mal ein Schreibtisch. Sein Arbeitsplatz ist einer der beiden Sessel in der Küche, meistens aber sein Bett. Geht doch, passt schon. Am Welttag des Buches hat Plastargias eine Schlafzimmerlesung veranstaltet. Fotos auf seinem Blog zeigen, wie er barfuß liest, Besucher sich auf dem Bett räkeln und Pizzaschachteln herumliegen.
Mit diesem ereignishungrigen Elan fegt Plastargias seit einigen Jahren durch die literarische Sub- und Offszene. Man trifft ihn hier und sieht ihn dort. Er war Mitglied im Kulturnetz Frankfurt und ist es noch bei der Frankfurter Autorengruppe Plan B, er sitzt in der Jury des Jugendbuchpreises von Rheinland-Pfalz „Goldene Leslie“ und im Vorstand des Sprach- und Lesefördervereins Sprich!, über den er auch die „Frankfurter Woche der Sprache und des Lesens“ mitorganisiert. Auf dem Online-Literaturmagazin faustkultur.de porträtiert er migrantische Nachwuchsautoren und bei radio x ist er beim schwul-lesbischen Magazin RadioSUB aktiv. Vor allem aber hat er zusammen mit Gleichgesinnten bereits ein halbes Dutzend Literaturformate initiiert, vom „Diary Slam“, bei dem Passagen aus Tagebüchern vorgetragen werden, im Rahmen seiner „Lesebühne des Glücks“, über die „LiterRadTour“ bis zu der Lyrikreihe „Undercover“. Dieses Format für Dichtungsfans moderiert er auch, obwohl er, wie er sagt, wenig Zugang zur Lyrik hat. „Meine Fragen sind oft doof. Aber das sorgt dafür, dass sich auch die anderen trauen.“ Die steife Atmosphäre von dem, was er „Wasserglaslesungen“ nennt, ist ihm zuwider. Wenn die Leute über Literatur miteinander ins Gespräch kommen, ist er glücklich. Wenn unkonventionelle Formate helfen, her damit.
Neben seinem Kulturaktivismus ist Plastargias vor allem Schriftsteller. Alles begann mit seinem Blog „schmerzwach“. Am 6. Dezember 2009 stellte er den ersten Eintrag in die Welt – und fand Gefallen daran Geschichten zu erzählen. Mit dem Besuch der Textwerkstatt Darmstadt nahmen seine literarischen Ambitionen Fahrt auf. 2011 war es so weit, im Größenwahn-Verlag erschien sein Jugendroman „Plattenbaugefühle“ über die Liebe zwischen einem deutschen und einem türkischen Jugendlichen. „Das Buch in der Hand zu haben, war ein toller Moment. Vorher war ich Blogger, seitdem sage ich, dass ich Schriftsteller bin.“ Von sich und seinem Erstlingswerk machte er ein Selfie.
Drei Jahre ist das nun her und einige Selfies sind hinzugekommen. Rund zehn Bücher hat Plastargias veröffentlicht, mal digital, mal gedruckt. Allein in diesem Sommer kommen zwei Romane und eine neue Anthologie in einer von ihm betreuten Queer-Reihe hinzu. Und „Plattenbaugefühle“ geht in die dritte Auflage. In seinen Büchern verarbeitet der 38-Jährige Geschichten, die nahe an ihm selbst dran sind: Oft geht es um die Situation von Jugendlichen, deren Wünsche und Sorgen er in seiner früheren Tätigkeit als Pädagoge kennengelernt hat. Mal schreibt er als Sohn griechischer Einwanderer über Integration, Heimat, Fremde und Sprache. Häufig verarbeitet er Geschichten aus der Gay- und Queerszene, in der er sich bewegt, und fast immer erzählt er von der Liebe – und der Trauer darüber, wenn sie ausbleibt oder scheitert.
Seine Geschichten in Buchform auf den Markt gebracht zu haben, ist für ihn eine große Sache. Möglich wurde es auch dadurch, dass er im Zuge seiner Umtriebigkeit die passenden Verleger kennengelernt hat: Sewastos Sampsounis vom Größenwahn-Verlag auf der Buchmesse, Peter Schmid-Meil von TUBUK.digital auf dem Buchcamp und Peter Koebel von michason & may bei einem Pub’n’Pub-Abend. Zur richtigen Zeit mit den richtigen Menschen in Kontakt kommen – auch das ist eine Kunst. Publizierte Bücher sind allerdings noch keine gelesenen und erst recht keine verkauften. Und Kleinverlage verfügen allenfalls über bescheidene Mittel, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Also schreibt Plastargias die Pressemitteilungen selbst, organisiert er seine Lesungen und wirbelt auf allen Kanälen, die Social Media hergibt.
Durch all das ist er in der Szene der Untergrund-Autoren eine kleine Größe geworden. Über 3.000 Menschen verfolgen seine Facebook-Aktivitäten, sein Blog wurde mehrere Hunderttausend Mal aufgerufen. Unter der Überschrift „Wie werde ich eine Marke?“ teilt er hier seit Kurzem alles, was er über den erfolgreichen Einsatz von Social Media weiß – ein solidarischer Akt, dessen Nutzen sich jedoch nicht bemessen lässt. „Die Digitalisierung ist eine wunderbare Sache. Sie hat das Leben und die Literatur allerdings nicht übersichtlicher gemacht“, sagt er. Aber er wird ohnehin nicht vom Erfolg getragen, sondern von der Lust am Netzwerken und Mitteilen getrieben. „Ich habe nie einen Plan verfolgt. Das eine ergibt sich aus dem anderen.“ Also stürzt er sich in die Projekte, die ihm spannend erscheinen. Für die literarische Szene ist sein Engagement, das ohne finanzielle Förderung auskommt, bereichernd. Für ihn ebenfalls, es kostet allerdings auch Zeit und Kraft. Wovon er eigentlich lebt? „Von sehr wenig Geld.“ Ein Eisberg verändert eben nicht so leicht seine Formation.
von Christian Sälzer (04.06.2014)