Der Verlag mit der Katze
„Schöffling & Co.“ macht anspruchsvolle Literatur. Und einen Katzenkalender. Zu Besuch bei der Frau, der der Frankfurter Verlag das lukrative Geschäft mit den Katzen zu verdanken hat: Verlagsgründerin und Lektorin Ida Schöffling.
Ich mag Katzen. Besonders meine eigene. Kalender mit Sprüchen mag ich hingegen weniger. Das liegt möglicherweise an einer frühkindlichen Prägung. So schenkte meine Oma – eine Pfarrersfrau – ihrer Schwiegertochter jedes Jahr zu Weihnachten den „Frau und Mutter“- Kalender, einen gruseligen Klassiker dieses Genres, den es heute noch in fast unveränderter Form gibt. Meine Mutter hasste diesen Kalender mit seinen christlichen Lebensweisheiten und dem Subtext, der mit diesem Geschenk verbunden war. Dennoch hängte sie ihn jedes Jahr aufs Neue wieder auf. Bis heute weiß ich nicht, wieso.
Meine Abneigung gegen Kalender dieser Art war vermutlich auch der Grund, warum ich bislang davor zurückschreckte, mich für Bookster-Frankfurt dem Thema „Schöffling & Co.“ zuzuwenden. Einerseits gehört der kleine Frankfurter Verlag zu den ganz Großen und Renommierten in der Branche. Er bringt (vor allem) deutsche Gegenwartsliteratur jenseits des Mainstreams heraus (zum Beispiel Guntram Vesper, der gerade den Leipziger Buchpreis bekam) und hat sich damit seit seiner Gründung im Jahre 1993 einen hervorragenden Ruf erarbeitet. In Frankfurt ist er auch wegen des von ihm initiierten Literaturfests „Frankfurt liest ein Buch“ bekannt. Und weil er ein – Zitat – „überregional weithin geachteter Leuchtturm der literarischen Welt ist, dessen Strahlkraft auch der Stadt Frankfurt Glanz verleiht“, bekommt er in Kürze den mit 50.000 Euro dotierten Binding-Kulturpreis verliehen. Andererseits jedoch steht „Schöffling & Co.“ auch für den Literarischen Katzenkalender. Dem allseits beliebten und vielfach kopierten Original, das seit nunmehr 20 Jahren aus wöchentlichen Katzenfotos in Schwarz-Weiß samt Zitaten und Aphorismen besteht. Jenem Klassiker also, über den Elke Heidenreich gesagt haben soll: „Wer eine Katze hat, kommt um diesen Kalender nicht herum!“
Nun denn, das gilt dann wohl auch für mich. Die Recherche beginnt bei der Frau, die seit 20 Jahren diesen Kalender herausbringt: Julia Bachstein. Googelt man den Namen, wird man kaum fündig. Außer ihrer Leidenschaft für Katzen (sie hat bei Schöffling noch diverse Katzenbücher herausgebracht) und Kalender (ebenfalls von ihr: der Literarische Gartenkalender) hat sie keine digitalen Fußspuren hinterlassen. Sie ist ein unbeschriebenes Blatt. Langsam scheint die Sache doch spannend zu werden.
Ein Verdacht bestätigt sich bei einem Besuch im Privathaus der Schöfflings im Frankfurter Dichterviertel. Julia Bachstein ist ein Pseudonym. Doch dahinter verbirgt sich mitnichten der Mann mit dem Rauschebart, Verleger Klaus Schöffling, sondern dessen Ehefrau Ida, Lektorin und Mitbegründerin des Verlages. Aber wieso ein Pseudonym? Steht sie etwa nicht hinter dem Kalender? „Keineswegs“, entgegnet Ida Schöffling mit ruhiger und sanfter Stimme. Der Grund für das Pseudonym sei gewesen, dass ihr richtiger Name auf dem Kalender den Verlag kleiner gemacht hätte, als er tatsächlich ist. „Das hätte ja so ausgesehen, als ob wir alles zu Hause selber am Küchentisch machen. Gerade am Anfang hätte das ein schlechtes Licht auf unseren Verlag geworfen.“ Zuzugeben, dass das alles ihr Werk ist – von der Idee bis zur alljährlichen Umsetzung –, ist jedoch kein Problem für sie. Im Gegenteil, die 68-Jährige ist darauf sogar ziemlich stolz.
„Es ist ja nicht so, als wären da irgendwelche blöden Sprüche drin“, sagt sie. Ohnehin verwehrt sie sich gegen den Begriff „Sprüche“ für ihre Texte, die sich durch Intelligenz, Witz und ja, auch durch einen gewissen literarischen Anspruch auszeichneten. Wir blättern gemeinsam im aktuellen Literarischen Katzenkalender und in seinem kleinen Bruder, dem Katzen-Taschenkalender. Hier verweist sie auf ein Zitat von Enzensberger, dort auf ein kurzes Katzen-Gedicht von Josef Guggenmos. Alles ganz nett und in der Kombination mit einem passenden Bild mitunter auch süß und lustig. Daneben gibt es aber auch eine „Carpe diem“-Lebensweisheit von Schiller oder einen Sinnspruch von Kollege Goethe „Wer nicht neugierig ist, erfährt nichts“. Ein Gähnen kann ich kaum unterdrücken. Oder um mit einen Aphorismus zu antworten: „Unanfechtbare Wahrheiten gibt es überhaupt nicht, und wenn es sie gäbe, wären sie langweilig“ (Theodor Fontane). Bleiben die Bilder. Doch ganz ehrlich: Als große Fotokunst ist das wohl kaum zu beschreiben. Und dennoch kann man sich dem Charme dieses Kalenders auch nicht ganz entziehen. Das liegt daran, dass der Kitsch-Faktor vergleichsweise gering ist und es sich eben nicht um einen typischen 08/15-Kalender mit farbigen Digitalfotos auf speckig-glänzendem Bilderdruckpapier handelt. Vielmehr sieht das cremeweiße, offene Naturpapier nicht nur edel aus, sondern fühlt sich auch gut an. Die Aufmachung ist eher klassisch-zurückhaltend, mit der Sonderfarbe Rot werden einzelne Schlagworte in den Sprüchen Texten dezent hervorgehoben.
Mittlerweile hat sich auch Tabby, die scheue 18-jährige Kartäuserkatze der Schöfflings hervorgewagt. Schnurrend streicht sie um meine Beine und lässt sich am Kopf kraulen. Das Gespräch schweift ab. Katzenbesitzer unter sich. Und ja, dann reden wir natürlich über Eva Demskis Ausstieg aus dem Verlag (sie war das „Co.“ im Verlagsnamen), über den Vorwurf, Schöffling habe „Frankfurt liest ein Buch“ nur gegründet, um die eigenen Bücher besser vermarkten zu können (ungerecht!), und über Marcel Reich-Ranicki, der nur eine Straße weiter wohnte (lief bei seinen Spaziergängen immer fünf Schritte vor seiner Frau Teofila). Ida Schöffling ist eine erfahrene Lektorin, langjährige Verlagsmitarbeiterin, fanatische Vielleserin und kundige Proust-Expertin. Über all das könnten wir jetzt stundenlang reden. Ich will aber lieber noch einmal auf das Thema zurückkommen, das mich letztlich hierhergeführt hat: So ist der Schöffling-Verlag, beginne ich erneut, doch ein anspruchsvoller Verlag, der Lyrik herausbringt und andere literarische Werke, deren vorhersehbarer ökonomischer Misserfolg billigend in Kauf genommen wird. Bei Schöffling gelten noch andere Kriterien und Werte als bloßes Schielen auf die Zahlen. Von daher sei es doch nur recht und billig, wenn ein Verlag die Cashcow „Katzenkalender“ melke, so lange es gehe, um sich das Wahre, Schöne, Gute leisten zu können. Aber dann bräuchte man doch nicht so tun, als würde sich dahinter noch viel mehr verbergen?
Ida Schöffling schüttelt den Kopf. Natürlich, erklärt sie mir nachsichtig, ist der Literarische Katzenkalender wie auch die anderen Kalender im Programm das ökonomische Fundament des Verlages. Denn im Gegensatz zu den Büchern ist deren Auflage weitgehend stabil und vor allem kalkulierbar. Daneben ist der Katzenkalender aber auch eine Herzensangelegenheit – nicht nur für Zehntausende von Fans in ganz Deutschland, sondern auch für sie. „Jeden Tag verbringe ich ungefähr eine Stunde Zeit mit den Kalendern. Ich bekomme viele Bilder zugeschickt, finde immer wieder neue Zitate in Büchern oder ich recherchiere im Internet. Und dann muss ich natürlich alle Bilder und Texte gut archivieren, damit ich sie später passend zusammenbekomme. Sie glauben gar nicht, wie schön und befriedigend diese Arbeit ist.“
Am Ende des Gesprächs schenkt mir Ida Schöffling noch einen Kalender. Ich zögere einen Moment, als Journalist muss ich schließlich unbestechlich bleiben. Abgesehen davon, dass ich auch gar nicht weiß, was ich damit anfangen soll. Dann nehme ich ihn doch mit und jetzt – beim Schreiben dieser Zeilen – liegt er die ganze Zeit neben mir auf dem Tisch. Die süße, getigerte Katze auf dem Titelfoto schaut mich eindringlich, fast vorwurfsvoll an. „Lass mich hier nicht einfach so rumliegen!“, scheint ihr Blick zu sagen. „Häng mich sofort auf!“ Und was soll ich sagen, einer Katze kann ich einfach nichts abschlagen...
von Martin Schmitz-Kuhl (22.03.2016)