Ein hedonistisch-politischer Trotzkopf
Wer ist Helmut Ortner? Die Schublade muss breit und tief sein, um den Journalisten, Autor und Relauncher mit all seinen Facetten hineinzupacken. Dann ziehen wir sie erst einmal heraus.
Fangen wir mit dem Helmut Ortner an, um den es hier eigentlich gar nicht geht. Nämlich mit dem „Relauncher“ Helmut Ortner. Ja, so einen Beruf gibt es. Ob Focus oder das Allianz Vertriebsmagazin, ob Frankfurter Rundschau oder die Gazeta Transportowa – wenn Verlage oder Unternehmen im In- und Ausland einen konzeptionell-grafischen Relaunch (engl. für Neustart) eines Magazins oder einer Zeitung brauchen, rufen viele von ihnen Ortner an. Der kommt dann vorbei und sagt, was zu tun ist. Ungefähr so muss man sich das vorstellen, vielleicht ein klein wenig verkürzt dargestellt. Und ungefähr so hat es Ortner in den vergangenen Jahren für rund 100 Printmedien getan. Damit ist er wahrscheinlich der erfolgreichste, sicherlich aber der meistbeschäftigte Relauncher Deutschlands.
Umso ungewöhnlicher ist es, dass er dies alles alleine macht. Ohne „richtige“ Agentur, ohne fest angestellte Grafiker, noch nicht einmal eine Sekretärin hat er in seinem Büro in Sachsenhausen. Dabei ist Ortner eigentlich der geborene Chef, ein klassischer Leitwolf, der sagt, wo es langgeht. „Meiner Erfahrung nach ist es viel schwieriger, zweiter oder gar dritter Mann zu sein, als ganz vorne zu stehen“, sagt er. „Danach habe ich immer gehandelt.“ Dass er es dennoch vorzieht, nur sein eigener Vorgesetzter zu sein und selbst als Chefredakteur vom Journal Frankfurt, Anfang der 90er-Jahre, nicht fest angestellt werden wollte, liegt daran, dass „Freelancer“ für ihn die Steigerungsform von „Chef“ ist. Denn ein Freelancer kann jederzeit den Bettel hinschmeißen – etwa wenn ein anderer Alpharüde zu laut kläfft oder das Rudel nicht mehr folgen will. Zumindest theoretisch. Denn tatsächlich scheint dies nicht oft vorzukommen, Ortner pflegt eher außergewöhnlich lange Kundenbeziehungen.
Auch privat schätzt Ortner diese Unabhängigkeit. Lieber als in seinen Porsche Targa setzt er sich dabei auf sein Rennrad. 6.000 Kilometer fährt der bald 65-Jährige noch im Jahr. „Noch“ deshalb, weil der dreifache Radrenn-Hessenmeister und Frankfurter Straßenmeister früher deutlich mehr fuhr und solche Distanzen selbst nur als „kontemplative Genuss-Touren“ bezeichnet. Kontemplativ geht es auch zu, wenn Ortner einer seiner anderen Lieblingstätigkeiten nachgeht und in Kiosken und Buchhandlungen stöbert – auch und gerade im fremdsprachigen Ausland, wenn man sich ganz auf die Form der Medien konzentrieren kann und nicht vom Inhalt abgelenkt wird. Und Kontemplation kann zuweilen ebenfalls im Spiel sein, wenn Ortner in seinem Darmstädter Haus sitzt und zu einem der vielen Bücher aus seiner umfangreichen Bibliothek greift; dabei mit Vorliebe zu US- oder südamerikanischen Autoren, aber auch zu Kunst- und Bildbänden sowie zu Sachbüchern.
Damit wären wir endlich bei dem Helmut Ortner, um den es hier eigentlich geht: Um den Buchmenschen Helmut Ortner, den Bookster. Wenn man auf seine Website geht, könnte man den Eindruck bekommen, dass es einen anderen Helmut Ortner ohnehin gar nicht gibt. Denn hier geht es ausschließlich um Bücher, einen Link zu seiner „Relauncher-Website“ sucht man vergebens. Dafür umso mehr Verweise auf das Launchen eigener Werke – als Autor.
1975 hat Ortner das erste Buch veröffentlicht: „Gefängnis und Familie“, seine Abschlussarbeit im Fach Sozialpädagogik und Bilanz seiner ehrenamtlichen Arbeit als Bewährungshelfer. Viele weitere Veröffentlichungen sollten folgen. Meist handelt es sich um erzählende Sachbücher mit zeitgeschichtlichen Themen, oft geht es um die Zeit des Nationalsozialismus. Sein bekanntestes Buch ist das über Georg Elser, „Der Mann, der Hitler töten wollte“, mittlerweile übersetzt in zwölf Sprachen. In jüngerer Zeit hat sich Ortner zunehmend mit Themen unserer Zeit beschäftigt. So ist zum Beispiel „Der Zorn“ (2012) ein Versuch der Rehabilitation dieses Begriffs als berechtigter, gar unentbehrlicher Erregungszustand. „Das Buch vom Töten“ (2013) ist eine Auseinandersetzung mit der beziehungsweise ein Plädoyer gegen die Todesstrafe. Und in „Politik ohne Gott“ (2014) geht es um den säkularen Staat in einer religiösen Welt. „Der Stoff muss mich interessieren, meine Neugier wecken – oder aber meinen Empörungs-Pegel überschreiten“, antwortet Ortner auf die Frage, wie er denn zu seinen Themen käme. Außerdem redet er noch von einem weiteren Anspruch, den er mit seinen Büchern verfolgt: Er will „aufklären“.
Hier spricht der Journalist. Das ist auch die Berufsbezeichnung, die Ortner angibt, wenn er im Hotel eincheckt, der gemeinsame Nenner zwischen all seinen beruflichen Tätigkeiten – und seine Wurzeln. Früh schrieb er für den Playboy und das Penthouse („weil super Honorar“), für Zeitungen wie die Frankfurter Rundschau und die ZEIT, aber auch für linke Magazine wie konkret und Pflasterstrand. Schließlich reden wir von den 70er-Jahren und wir reden von Frankfurt. Seine politische Sozialisation erfuhr Ortner – er selbst spricht heute von „ertrug“ – im Sozialistischen Büro in Offenbach. Ein Motto lautete damals „Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt“. Und wenngleich ihm inzwischen die Attitüden der Undogmatischen Linken wahrscheinlich und ihr Lebensstil mit Sicherheit fremd sind, hat Ortner doch zumindest ein Stück weit diese Geisteshaltung bewahrt. „Aber heute würde ich mich eher als hedonistisch-politischen Trotzkopf bezeichnen“, so Ortner. Und nein, sein Porsche würde durchaus ins Bild passen. In das Bild eines vielseitigen Menschen. „Für mich ist das auch kein Ausbruch, sondern die Bandbreite eines vitalen Lebens.“
Ortner, ein Querdenker? Ein Freigeist, der macht, was er will? Jemand, der den Widerspruch und die Provokation liebt, zuweilen vielleicht sogar inszeniert, weil es zu der Marke „Helmut Ortner“ passt? Ortner widerspricht – wie könnte es anders sein: Querdenker sei ein ziemlich „blödsinniges, abgegriffenes Etikett“, das sich jeder FDP-Wähler ans Revers hefte. Er mache sich „keinerlei Gedanken“, was andere über ihn denken und von ihm halten. Und wer sich in seinem Alter noch über seine „Marke“ Gedanken mache, sei eine tragische Figur.
von Martin Schmitz-Kuhl (27.01.2015)