Im Netz der Spinne
Jenseits von „Fix und Foxi“ beginnt die eigentliche große und aufregende Welt der Comics. Nur wenige kennen sich darin so gut aus wie Ekki Helbig, Betreiber des Comicladens Terminal Entertainment (T3). Er weiß auch, warum gezeichnete Geschichten nachgefragt sind wie selten zuvor.
Wenn man in Frankfurt lebt und sich für Comics interessiert, stößt man unweigerlich irgendwann auf Ekki Helbig. Bei mir war es im Oktober 2011 so weit. Ich organisierte eine Veranstaltung mit Ulli Lust, einer der wichtigsten deutschsprachigen Comiczeichnerinnen, die aus ihrer Graphic Novel „Heute ist der letzte Tag vom Rest Deines Lebens“ lesen sollte. Im Vorfeld telefonierten wir miteinander. Die beinahe erste Frage, die sie mir stellte, war: „Weiß Ekki Bescheid?“. Seitdem kenne ich Ekki Helbig und weiß, welches Renommee der Betreiber eines Comicladens unter den Zeichnern hat.
Auf dem Weg von der Hauptwache zum Eschenheimer Tor kommt man auf halber Höhe an Terminal Entertainment vorbei. Am „T3“. Zwischen zwei Schaufenstern steht die Tür meist offen. Dahinter verbirgt sich ein Kosmos einer anderen Bücherart. Auf zwei Etagen und 130 Quadratmetern drängen sich proppevolle Regale aneinander, beladen mit Tausenden Comic-Alben, Mangas, Superhelden-Heften und Graphic Novels aus aller Welt, daneben Merchandiseprodukte, Tradingscards, Rollenspiele und anderes Artverwandte. In einem kleinen Thekengeviert steht ein nicht ganz so großer Mann, helle Haare, den Blick meist auf etwas geheftet. Man könnte auch sagen: Der Laden ist das Netz und Helbig ist die Spinne – wer ihm einmal in die Fänge gerät, kommt nicht mehr heraus (kein böses Kompliment, Spider Man ist ja auch ein Guter). Helbigs Wunderwaffe ist sein stupendes Wissen über Comics und die Fähigkeit, seinen Kunden daran teilhaben zu lassen. Viele von ihnen kennt er schon lange und weiß, was sie interessiert.
Wie Ekki Helbig zum Comic kam? „Als Teenager habe ich Mitte der 1970er-Jahre bei Zweitausendeins die Underground-Comix aus den USA entdeckt: Robert Crumb, Gilbert Shelton & Rand Holmes. Wow, das war noch mal was ganz anderes als die Hefte am Kiosk.“ Doch er blieb ein Gelegenheits-Comicleser. Ende der 1980er, ein Germanistikstudium und einen Zivildienst später, begann Helbig bei Riedel & Krebs im Lager zu arbeiten, dem ersten deutschen Comicvertrieb, der die Fachläden belieferte. „Ich war im Comicparadies angekommen und las mich quer durch die Regale.“ So wurde er zum Experten und wechselte folgerichtig 1993 als Filialleiter in den Comicladen von Riedel & Krebs in der Berliner Straße. „Dort stellte ich fest, dass mir der Verkauf von Comics und der Kundenkontakt riesigen Spaß machen. Nach zwei Jahren warb mich der Konkurrenzladen Comica ab. Kurze Zeit später wurde die Idee zu Terminal Entertainment geboren. 1995 war es so weit, Gerhard Kurowski, Wolfgang Brenner und Ekki Helbig – daher auch „T3“ – öffneten an der Großen Eschenheimer Straße 41a die Tür.
Anders als vielen kleinen Buchhandlungen geht es dem Laden gut – weil es der Comicbranche gut geht. Das liegt zum einen daran, dass Comicfreunde das Gedruckte mögen, sei es Heft, Band oder Prachtausgabe. „Die Doppelseite ist die Layout-Grundform und die funktioniert bei Tablets nun mal nicht“, so Helbig. „Comicliebhaber legen sehr viel Wert auf Haptik. Die Mehrzahl achtet auch mehr auf die Grafik als auf die Geschichte beim Einkauf.“ Natürlich gebe es inzwischen auch Web Comics. „Aber gedruckt werden wollen sie alle.“ Der Branche geht es auch deswegen gut, weil es vor allem unter jungen Leuten ein wachsendes Interesse am Comic im Allgemeinen und an der Graphic Novel im Besonderen gibt. Auch im T3 gibt es inzwischen ein eigenes Regal für dieses trendige Genre. Helbig lächelt ein bisschen darüber, milde, aber ohne Spott: „Graphic Novel ist eigentlich ein reiner Marketingbegriff. Er wurde eingeführt, um das Wort Comic zu vermeiden, bei dem seltsamerweise die meisten Leute an etwas Komisches denken.“ Aber es funktioniert. Dank des neuen Labels habe sich sowohl das Feuilleton als auch der Buchhandel den Comics wieder geöffnet. „Neue Leser sind aufmerksam geworden. Und das ist das Wichtigste“, sagt Helbig. Dem T3 geht es aber auch deshalb gut, weil die Comicliebhaber nach wie vor eine Szene bilden, die eigene soziale Orte schätzen und nutzen. Als Treffpunkt von (nerdigen) Experten für (nerdige) Experten, die am Austausch interessiert sind. Signierstunden spielen so im T3 eine wichtige Rolle, geduldig stehen die Fans an, um sich immer auch ein Bild in den eigenen Band zeichnen zu lassen. Auf dem T3-Blog gibt es schließlich aktuelle Informationen über Rollenspieltage, werden Digitale Comics vorgestellt und finden sich spezielle Sparten-Newsletter.
Das T3 ist auch eine Anlaufstelle für hoffnungsvolle Nachwuchszeichner. Viele sind schon bei Helbig vorstellig geworden, haben ihre Comics präsentiert und gefragt, ob er sie in den Verkauf nehmen könne. „Wir sind da immer sehr positiv gestimmt und nehmen auch durchaus mal obskure Sachen ins Programm – man soll den Nachwuchs ja fördern. Oft verkaufen wir dann aber nur zwei oder drei Hefte und geben den Rest an die Künstler mit aufmunternden Worten zurück.“ Manchmal aber bekommen so Karrieren ihren entscheidenden Schub. Im Herbst 2006 etwa marschierte Ingo Römling ins T3 und fragte Helbig, ob er dessen Comic ins Programm aufnehmen könne. Die Bitte, den Comic doch einmal zu zeigen, konnte Römling allerdings nicht erfüllen. Er habe vergessen, ihn mitzubringen. Stattdessen gab er Helbig eine Internetadresse. „Was denkt sich der Comichändler nach einem solchen Gespräch? Netter Kerl, etwas verpeilt – na, das wird ein rechter Krikelkrakel-Comic sein. Doch pflichtbewusst wie ich bin, schaue ich mir im Netz die Leseproben vom Comic und Ingos andere Sachen an – und falle fast vom Stuhl. Großartige Zeichnungen in unverwechselbarem eigenen Stil.“ Heute ist Ingo Römling ein aufgehender Stern am Comichimmel, aktuell hat er seinen zweiten „Malcolm Max“-Band im Splitterverlag veröffentlicht.
Auf einem Tisch im T3 liegt unscheinbar ein graues Buch, das man nicht kaufen kann. Was wie ein Fotoalbum aussieht, ist Ekki Helbigs persönlicher Schatz. Auf jeder Seite hat sich ein Comickünstler verewigt, stets mit einer eigenen Zeichnung und einer Widmung, die zeigt, welche Wertschätzung Helbig in der Szene genießt. Diese ist so groß, dass er es sich leisten kann, noch den bekanntesten Zeichnern eine Vorgabe zu machen. Sie lautet: „Paint something blue.“
von Jakob Hoffmann (17.06.2014)