Es geht um die Sache!
Die Wochenschau ist legendär. Der Frankfurter Verlag, der diese Zeitschrift seit 1949 herausbringt, ist dagegen nur in Fachkreisen bekannt. Mit der Enkelin des Gründers, Tessa Debus, könnte sich das nun ändern.
Ein Porträt über Tessa Debus muss bei ihrem Großvater beginnen. Nicht nur, weil Opa Kurt der Gründer des Wochenschau Verlags ist, den Tessa nun in dritter Generation führt, sondern auch, weil seine Geschichte für das steht, was den Verlag bis heute ausmacht: Nie wieder Auschwitz! Nie wieder ein Krieg von deutschem Boden! Nie wieder Faschismus und Totalitarismus! All dies betrachtete Kurt Debus nicht als abstrakte Ziele, sondern als konkrete Aufgaben für die Pädagogik. Dafür reiste er unmittelbar nach dem Krieg in die USA, um dort zu lernen, wie demokratische Werte in der politischen Bildung vermittelt werden können. Zurück in Deutschland, inzwischen arbeitete er als Lehrer, fing er damit an, Zeitungsartikel zu übersetzen und sie im Unterricht zu verwenden. Und da es an vernünftigem Lehrmaterial hierzulande generell mangelte, vervielfältigte er seine Übersetzungen und stellte sie Kollegen wöchentlich zur Verfügung. Der Wochenschau Verlag war geboren.
„Ich selbst kenne ihn ja nur als Opa“, sagt Tessa Debus, als etwas autoritären, dabei aber auch Kindern sehr zugewandten und geselligen Mann. Er starb, als sie acht Jahre alt war. Erst im Nachhinein sei ihr klargeworden, was er zu Lebzeiten alles geleistet hat. So habe er nicht nur nebenberuflich – seinen Beruf als Lehrer, später Schulleiter gab er nie auf – einen Verlag geführt. Darüber hinaus war er zum Beispiel entscheidend an der Neugründung des Bundes für Volksbildung in Frankfurt-Höchst beteiligt sowie am Aufbau einer der ersten Ganztagsschulen in Deutschland.
„Sein Ideal des mündigen Bürgers ist für uns immer noch zentral“, so die 40-Jährige. Schwerpunkt des Verlags ist daher nach wie vor die politische Bildung im Allgemeinen und Themen wie Rechtsradikalismus, Rassismus und Antisemitismus im Besonderen. „Wir müssen uns bei jeder Generation neu fragen, wie wir diese Themen und Werte vermitteln wollen, aber genauso, wie wir aktuelle Phänomene aufgreifen können.“ Beispielsweise das Problem der Fake News. Um diese Aufgaben zu bewältigen, ist aus der ehemals wöchentlichen Zusammenstellung englischsprachiger Zeitungsartikel in deutscher Übersetzung längst ein alle zwei Monate erscheinendes Themenheft für den PoWi-Unterricht geworden – und aus dem kleinen Wochenschau Verlag ein mittelständisches Familienunternehmen, das rund ein Dutzend Zeitschriften sowie jede Menge politische und pädagogische Bücher herausbringt.
„Das ist vor allem der Verdienst meines Vaters“, betont Tessa Debus. Inzwischen hat Bernward Debus im Verlag zwar nur noch einen kleinen „Katzentisch“ und er ist nur noch gelegentlich in den neuen Räumen in Frankfurt-Rödelheim. Damals, in den 1980er-Jahren war er es jedoch, der das erste Buchprogramm aus der Taufe gehoben und den Verlag zu dem gemacht hat, was er heute ist. So zählt das Unternehmen mittlerweile 15 Mitarbeiter, die Buchsparte ist unterteilt in die Bereiche Schulbuch-, Fachbuch- sowie Wissenschaftsverlag. Und mit dem Debus Pädagogik Verlag gibt es sogar ein Imprint, der den Familiennamen trägt.
Große Fußstapfen also, die Großvater wie Vater hinterlassen haben. Doch nicht zu groß für Tessa Debus, die vor wenigen Jahren genau diese Herausforderung angenommen hat. „Noch während des Studiums habe ich nicht im Traum daran gedacht, im väterlichen Betrieb einzusteigen“, erzählt sie. Wie ihr Bruder wollte sie eigentlich einen anderen Weg gehen. Doch während der Promotion merkte sie, dass das rein wissenschaftliche Arbeiten ihr etwas zu langweilig ist, und einen Vertrag bei einer großen Werbeagentur lehnte sie letztlich ab, weil dieser Job nicht kompatibel mit den eigenen Familienplänen erschien. Aus einer dreijährigen „Probezeit“ bei ihrem Vater sei dann einfach mehr geworden, erzählt Tessa Debus, inzwischen Mutter zweier Söhne im Alter von zwei und fünf Jahren. „Ich bin da so reingerutscht, das war eher ein Prozess als eine Entscheidung.“
Geholfen hat dabei aber auch sicherlich Vater Bernward, der in dem oft so schwierigen Generationswechsel alles richtig gemacht zu haben scheint. Was man braucht, um eine gute Verlegerin zu werden, lernte Tessa schon früh und quasi nebenbei als Verlagstochter – durch all die Gespräche am Essenstisch. Aber auch später, während ihres Studiums, war sie für ihren Vater immer Ansprech- und „Sparringspartnerin“ bei verlegerischen oder betrieblichen Fragen. „Ich habe mich aber nie von ihm unter Druck gesetzt gefühlt“, betont Tessa Debus. Sollte ihr Vater von vorneherein das Ziel verfolgt haben, seine Tochter in das Familienunternehmen zu locken, hat er es zumindest sehr geschickt angestellt.
Bis heute habe sie zu ihrem Vater ein „extrem gutes Verhältnis“, sagt die Verlegerin, die Zusammenarbeit klappe reibungslos. Das heißt indes nicht, dass die beiden sich nie streiten würden, dabei gehe es aber immer nur um inhaltliche, nie um Machtfragen. „Trotzdem können die Mitarbeiter das manchmal nur schwer aushalten“, lacht sie. Aber für die beiden ist ein solcher Streit nur das, was den Verlag seit jeher ausmacht: gelebte Demokratie.
Der Großvater hat den Verlag gegründet, der Vater hat ihn professionalisiert. Bleibt die Frage, was nun die Aufgabe der Enkelin und Tochter im Verlag ist. Tessa Debus, eigentlich nie um eine schnelle Antwort verlegen, hält kurz inne. „Klar ist, dass ich den Verlag in einer ganz anderen, viel luxuriöseren Situation übernommen habe“, sagt sie dann.
Herausforderungen gäbe es dennoch genug. So habe der kleine Wochenschau Verlag trotz seines guten Rufes in der Fachwelt nach wie vor Probleme, sich gegenüber den Großen zu behaupten. Um Wahrnehmung zu kämpfen sei daher ein wichtiges Anliegen von ihr – nicht zuletzt deshalb ließ sie sich 2017 in den Regionalvorstand des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels wählen. Hinzu käme die Herausforderung der Digitalisierung, der man sich künftig noch entschiedener zuwenden müsse, um als Verlag bestehen zu können. Weiter zu wachsen, betont Tessa Debus, sei aber kein Ziel an sich – und wenn, dann nur in den Umsatzzahlen. Denn: „Wenn wir noch mehr Bücher machen würden, wären es irgendwann nicht mehr meine Bücher. Das würde mir nicht gefallen, denn mir geht es immer um die Sache, um die Inhalte.“ Ein Satz, den Großvater wie Vater wahrscheinlich genauso hätten sagen können.
von Martin Schmitz-Kuhl (01.09.2020)