Immer mitten ins Herz
Anfang des Jahrtausends stand es schlecht um die städtischen Bibliotheken. 2004 hat Dr. Sabine Homilius die Leitung übernommen. In dieser Zeit ist nicht alles anders, aber vieles besser geworden. Über einladende Bibliotheken, Rückgabeautomaten und den Leseknick.
In der Zentralbibliothek der Frankfurter Stadtbücherei, in der auch die Verwaltung und damit ihr Büro untergebracht sind, hat Sabine Homilius zwei Lieblingsorte. Der eine liegt im Herzen des Gebäudes, ist gleichwohl gut verborgen. Hinter dem freistehenden Aufzugsschacht befindet sich ein offener Raum, an dessen Südseite eine gewaltige graue Wand weit in die Höhe schießt. Ein ruhiger, klar strukturierter Platz, an dem man sich als Mensch klein vorkommt. Diesen Ort sucht Homilius auf, wenn sie einen Durchhänger am Nachmittag zu überwinden hat. „Für mich ist dieser Raum eine Energiequelle.“
Seit zehn Jahren ist die promovierte Literaturwissenschaftlerin für die vielfältige Infrastruktur der Stadtbücherei zuständig. In Zahlen ausgedrückt: für die Zentralbibliothek mit Musikbibliothek in der Hasengasse, die Zentrale Kinder- und Jugendbibliothek, vier Bibliothekszentren, 12 Stadtteilbibliotheken und eine Fahrbibliothek mit 30 Haltestellen. In den Häusern kann jeder und jede für gerade mal 16 Euro Jahresgebühr Räume, Arbeitsmöglichkeiten und vor allem Medien vieler Art nutzen. Eigentlich ein unglaublicher Service. In der Debatte über das neue Prinzip des „Sharing“ wird leicht vergessen, dass öffentliche Bibliotheken seit jeher das Teilen praktizieren und damit Bücher, Musik-CDs, Hörbücher, E-Books und vieles mehr für alle zugänglich machen.
„Es läuft gut“, beschreibt Homilius die aktuelle Situation lapidar. Anfang des Jahrtausends war das anders, ganz anders. Angesichts leerer Stadtkassen ließ man die Bibliotheken bluten, mehrere Standorte wurden geschlossen. Sogar der rigorose Kahlschlag, den gerade einmal vier Bibliothekszentren überleben sollten, galt als Option. „Ich kam zum Glück nach diesen schweren Jahren“, sagt Homilius. Tatsächlich lag ihr bei Amtsantritt Ende 2004 der Beschluss 6164 der Stadtverordnetenversammlung vor, „unser Mantra“, lacht sie. In ihm war der weitgehende Fortbestand des Netzes festgeschrieben – unter der Maßgabe, dass alles optimiert, konzentriert und umstrukturiert werde. Und Homilius, die bereits an der Frankfurter Uni eine Umstrukturierung von Bibliotheken zu meistern (siehe „Zur Person“) und hierbei sowohl Moderations- als auch Durchsetzungsfähigkeit bewiesen hatte, war auserkoren, diese Mission zu leiten.
„Der Schlüssel lag darin, ein neues Domizil für die Zentralbibliothek zu finden“, sagt sie rückblickend. Die Aufgabe des langjährigen Standorts an der Ostzeil war symbolisch, räumlich, vor allem aber finanziell wichtig, verschlang doch die horrend hohe Miete rund ein Sechstel des Gesamtbudgets aller Bibliotheken. 2007 war es so weit, die Zentralbibliothek siedelte in das ehemalige Sparkassengebäude gegenüber der Kleinmarkthalle um. Dieses war zu einem großzügigen, lichten und hochmodernen Bibliotheksgebäude umgestaltet worden. Vor allem aber war die Miete fast nur noch halb so hoch. Dadurch stehen Homilius und ihrem Team jedes Jahr 200.000 Euro zusätzlich für Medienbeschaffungen zur Verfügung. „Das hat unsere Spielräume entscheidend vergrößert.“
Das Ergebnis zehnjähriger Arbeit ist erstaunlich: Mit dem gleichen Budget und etwas weniger Häusern – und trotz des Aufkommens des Internets – haben die Stadtbüchereien heute deutlich mehr Nutzer und Ausleihen als 2004. 2013 etwa verzeichneten sie 1,52 Millionen Besuche und 2,64 Millionen Ausleihen. Und das, obwohl der Bestand heute um ein Viertel kleiner ist als vor zehn Jahren. „Wir haben konsequent aussortiert, aber die Aktualität erhöht und den Bestand an die Nachfrage angepasst.“ Jedes Jahr wird rund jedes zehnte ausleihbare Medium durch ein neues ersetzt. Entwicklungssprünge gab es auch beim Service. Alle Häuser haben ihre Öffnungszeiten verlängert, mancherorts können Medien über Rückgabeautomaten zu jeder Tages- und Nachtzeit zurückgegeben werden, Scantechnik ermöglicht die eigenständige Ausleihe. Besucher können heute in allen Häusern surfen oder E-Learning-Angebote nutzen. Möglich wurde das Ganze auch durch interne Umstrukturierungen. So sind alle Häuser weiterhin selbstständig, durch ihren Zusammenschluss in einem Verbund helfen sie jedoch stärker gegenseitig aus.
Das Wichtigste aber, so Homilius, sei die Veränderung der Standorte und der Gebäude. „Gib den Menschen Räume und sie machen etwas damit – davon bin ich überzeugt.“ Tatsächlich sind viele Stadtbüchereien umfassend renoviert worden, das Bildungs- und Kulturzentrum Höchst wurde gar neu gebaut. Neben der Zentrale sind auch das Bibliothekszentrum in Sachsenhausen, die Stadtteilbibliothek in Niederrad an besseren Standorten wiedereröffnet worden. Das Prinzip bei der Auswahl der Adressen: „Immer mitten ins Herz des jeweiligen Umfeldes.“ In der Umgestaltung der Häuser spiegelt sich auch eine Überzeugung von Homilius: „Bibliotheken sind für mich keine Ausleihstationen, sondern Begegnungsräume, die jeden und jede einladen zu kommen – und zu bleiben.“ Je nach Nutzerinteressen sollten Bibliotheken die schnelle Ausleihe oder Rückgabe erlauben, aber auch Behaglichkeit bieten für diejenigen, die stöbern, kommunizieren, lesen oder lernen wollen.
Homilius geht noch weiter: „Wir haben eine öffentliche Aufgabe und müssen diese in der Gesellschaft präsentieren.“ Auch das hat sich positiv entwickelt: Gab es vor zehn Jahren 58 Schulbibliotheken, die von der Stadtbücherei mit Medien versorgt sowie mit Personal und Know-how unterstützt wurden, sind es heute fast 100. Vor allem aber bieten die Bibliotheken eine Vielzahl an Lesungen, Ausstellungen, Projekten und Kooperationen an, vorwiegend mit Kitas und Schulen. Für das Lesen zu begeistern und mit Medien vertraut zu machen, sind zentrale Anliegen. Hierzu zählt für Homilius auch die Frage, wie man dem „Leseknick“ begegnen kann, also dem Phänomen, dass viele Jugendliche vom Lesen wieder abkommen. Daher gibt es die Junge Medienjury, das Bücherpicknick, Führungen für Jugendliche mit iPads und in der Bornheimer Filiale eine Teen-Lounge. Die Erfahrung lehre: „Angebote, bei denen die Jugendlichen aktiv einbezogen sind, werden angenommen.“
Knapp jeder zehnte Frankfurter nutzt die Bibliotheken, für eine Stadt mit einer stark fluktuierenden Bevölkerung wie Frankfurt ist das ein guter Wert. Offene Häuser, wünscht sich Homilius, die von allen gerne besucht werden. Damit wären wir bei ihrem zweiten Lieblingsort: Im hinteren Bereich der Zentralbibliothek sind mehrere Dutzend Arbeitsplätze eingerichtet. „Jeden Nachmittag sind hier alle Stühle besetzt. Hier sehen Sie vorwiegend junge Menschen, die hochkonzentriert arbeiten. Wehe, jemand hat vergessen, sein Handy leise zu stellen. Dann sollten Sie mal die Blicke der anderen sehen.“
von Christian Sälzer (30.09.2014)