Kein bisschen angestaubt!
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat seinen Sitz in Frankfurt. Dabei sei „Sitz“ nach Ansicht manch eines Kritikers durchaus wörtlich zu verstehen, denn viel Dynamik und Bewegung gehe von der Branchenvertretung nicht aus. Diesem Vorurteil widerspricht Dorothee Werner jedoch energisch – in Worten wie in Taten.
„Print ist tot“. Der Zwischenruf sitzt. Bevor Dorothee Werner vor den rund 500 Zuhörern der Berliner Internetkonferenz re:publica etwas erwidern kann, springt ihr ausgerechnet Sascha Lobo bei. „Dafür, dass nur ungefähr zwei Prozent vom Buch-umsatz digital gemacht werden, ist „tot“ ein sehr mutiger Begriff“, entgegnet der bekannte Blogger und Netzexperte mit dem roten Irokesenschnitt, der mit Werner die Session „Betriebssystem Buch“ hält.
Betriebssystem Buch? Der programmatische Titel der Veranstaltung soll zeigen, dass das Buch heute nicht mehr nur zwischen zwei Buchdeckeln stattfindet, sondern eben auch digital, auf E-Book-Readern, Tablets oder Smartphones und im Netz. Noch sind die Umsatzzahlen im digitalen Business zwar in der Tat bescheiden, doch das ändert sich gerade rasant.
Diese Entwicklung nicht nur zu beobachten, sondern mitzugestalten, ist der Job von Dorothee Werner. Die 40-Jährige ist Büroleiterin des Hauptgeschäftsführers des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Alexander Skipis, sowie „Leiterin Unternehmensentwicklung, Grundsatz- und strategische Fragen“. Und dieses Unternehmen, welches da strategisch entwickelt werden soll, ist nicht irgendein Unternehmen. Es ist die Vertretung der gesamten deutschen Buchbranche. Es ist ein Verein mit einer 190-jährigen Tradition. Und es ist eine Organisation, die die unterschiedlichsten Interessen unter einen Hut bringen muss – Interessen von Buchhändlern und Verlagen, von Traditionalisten und Modernisten, von Betrieben, die sich seit der Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert kaum verändert haben und anderen, deren Geschäftsmodelle so modern sind, dass sie noch vor fünf Jahren völlig unvorstellbar waren.
Restaurant Margarete, im „Haus des Buches“ in der Frankfurter Braubachstraße. Dorothee Werner kommt gerade zurück aus Berlin. Die „Feuerprobe“ auf dem Podium mit Sascha Lobo ist souverän gemeistert. Viel Zeit zum Durchatmen bleibt jedoch nicht. Ebenso unruhig und in Bewegung wie die ganze Branche ist auch Werner selbst. Eine Stunde Zeit habe sie für das Gespräch. Mehr geht leider nicht. Aber wenigstens hat Werner hier in der Margarete ein Heimspiel. Im gleichen Haus sitzt der Bundesverband des Börsenvereins. Nicht zuletzt aufgrund dieser Nähe ist die Margarete für den Verband Kantine, Pausenraum und externes Besprechungszimmer zugleich.
Machen wir also gleich weiter mit den Fragen zur „Digitalen Revolution“, die die Netzaktivisten nicht nur in Berlin so gerne beschwören. Auf welcher Seite der Barrikaden steht der Börsenverein: auf der Seite der Revolutionäre oder auf der Seite der Bewahrer, die es unter den mehr als 5.000 Mitgliedern sicherlich noch zuhauf gibt? „Weder noch. Wir versuchen zu vermitteln“, sagt Werner, widerspricht, dass ihre Mitglieder mehrheitlich Bewahrer seien, gibt dann jedoch zu: „Das ist natürlich ein schwieriger Spagat.“ Zum Beispiel setze sich der Verband für ein starkes Urheberrecht ein – was dann als „Bewahren“ falsch verstanden werden könnte. Doch nur so würde auch noch nach der digitalen Revolution das Buchgeschäft weitergehen und die Vielfalt der Kulturlandschaft möglich sein. Und darum gehe es schließlich jenseits irgendwelcher Barrikadenkämpfe.
Dorothee Werner ist ein Bookster par excellence. Schon mit der Wahl ihrer Ausbildung machte sie ihre Leidenschaft für Bücher zum Beruf. Nach ihrer Buchhändlerlehre studierte sie zunächst Philosophie und Germanistik, blieb aber weiter dem Thema verbunden. Sei es mit ihrer jahrelangen Arbeit für die Leseförderung im Preungesheimer Frauenknast. Oder sei es 1997 mit der Etablierung eines Azubi-Treffpunkts, dem AzuBistro auf der Frankfurter Buchmesse. Letzteres brachte sie auch in Kontakt mit dem Börsenverein, bei dem sie seit 2007 fest angestellt ist.
Zunächst war sie dort „nur“ Referentin. Doch ihr Chef Alexander Skipis erkannte bald, was für ein Glücksfall sie für ihn ist – und umgekehrt. Denn er war es auch, der den alten Tanker Börsenverein flexibler und moderner machen, der sich den Herausforderungen des digitalen Zeitalters stellen wollte. Er wurde Spiritus Rector des sogenannten „Forum Zukunft“. Und Werner bekam die Aufgabe, dieses Forum mit Inhalt und Leben zu füllen.
Aber was ist das Forum Zukunft? „Das ist unser kleines Labor, in dem wir Sachen weiterentwickeln und ausprobieren können“, schwärmt Werner. Vier Jahre wurde beispielsweise ein BarCamp auf dem Frankfurter Mediacampus organisiert, in dem die Teilnehmer ein Wochenende lang über die Zukunft des Publishings und der Medienbranche diskutieren konnten. In diesem Jahr findet zum dritten Mal das Projekt protoTYPE statt, bei dem unterschiedlich zusammengesetzte Teams innovative Geschäftsmodelle und Ideen gemeinsam ausarbeiten können. Und ebenfalls zum dritten Mal findet in diesem Jahr die Zukunftskonferenz statt; das Besondere an diesem offenen Kongress ist, dass hier ohne Hierarchie der Azubi mit dem Vorstandssprecher diskutieren darf und soll. Kann das gut gehen?
„Wir fliegen hier ein Stück weit unter dem Radar und können auch einfach mal etwas ausprobieren“, erklärt Werner. Super, wenn das dann klappt. Aber wenn Fehler gemacht werden oder etwas mal nicht ganz so erfolgreich ist, werden die Verantwortlichen nicht gleich einen Kopf kürzer gemacht. Das eröffnet Handlungsspielräume, fördert den Blick für das Visionäre – und wenn es gut läuft, kann es der Branche vielleicht dringend benötigte Impulse geben. So planen Werner und ihr Team zurzeit ein Projekt, das zeigen soll, wie man digitale Produkte physisch erlebbar machen kann – sei es zum Beispiel auf dem Messestand oder im Schaufenster der Zukunft. Designer und andere Kreative sind aufgerufen, sich etwas einfallen zu lassen. Aber natürlich auch hier wieder nicht mit einem „normalen“ Wettbewerb, sondern in Form eines sogenannten Crowdsourcing-Projekts. Eben innovativ!
All das klingt aber auch nach furchtbar viel Arbeit. Für Werner ist es indes nicht ein Problem von „zu viel“ Arbeit sondern von „zu wenig“ an Zeit. Denn seit gut anderthalb Jahren ist Werner auch noch Mutter – und damit bleibt es jetzt in der Regel bei einer 40-Stunden-Woche. „Auch wenn es unpopulär ist: mir fehlt es, so viel arbeiten zu können, wie ich will“, bedauert Werner. „Ich war gerne Workaholic.“ So habe sie früher abends häufig open end gearbeitet, am Wochenende Dinge in Ruhe fertig gemacht und sich so richtig in die Arbeit vertieft. Diesen „Flow“, in den man da reinkäme, das sei schon etwas ganz Tolles.
Apropos. Aus der einen Stunde Gespräch sind mittlerweile zwei Stunden geworden. So langsam wird Werner dann aber jetzt doch nervös. Der nächste Termin wartet. Diesmal aber nicht oben im Büro, sondern in der Krabbelstube. Dass ihre Tochter auch Margarete heißt, soll übrigens Zufall sein. Passend ist es allemal.
von Martin Schmitz-Kuhl (10.06.2014)