Vom Mississippi bis zum Donaudelta
Zuerst hat er eine Ausbildung zum Bankkaufmann absolviert, dann auf Lehramt studiert, um zehn Jahre als Werbetexter in einer Agentur zu arbeiten. Schließlich hat Dirk Pope doch noch sein Referendariat gemacht, und heute unterrichtet er als Deutsch- und Sportlehrer an einer IGS. Was ihn zum Bookster macht, ist aber sein 2015 erschienener Jugendroman „Idiotensicher“.
Gerade kommst du von einer Recherchereise für deinen zweiten Roman aus Rumänien zurück. Bedeutet das, dass du schon wieder den Beruf wechselst und mit der Schriftstellerei so richtig Ernst machst?
Zunächst nur eingeschränkt. Zumal mir der Job als Lehrer wirklich gut gefällt und ich weit davon entfernt bin, vom Schreiben leben zu können. Aber wenn es gut läuft mit den Büchern, könnte ich mir durchaus vorstellen, dem Schreiben mehr Zeit einzuräumen und in der Schule zu reduzieren.
Wie kam das überhaupt mit deinem ersten Roman?
Geschrieben habe ich ja schon immer. Nur eben für die Schublade – wie viele andere auch. Dann habe ich mein Romanmanuskript einer Literaturagentin angeboten, da ich mir über diesen Weg mehr Chancen ausgerechnet habe, als direkt an Verlage heranzutreten. Sie fand meinen Stil ganz gut und konnte schließlich auch den Hanser Verlag für mich begeistern. Allerdings wollten die Münchner aus dem Manuskript ein Jugendbuch machen, wofür es aber zu viele Tote in der ursprünglichen Story gab. Also habe ich mich ans Umschreiben gemacht. Vom ersten Textentwurf sind dann nur rund 20 Seiten übrig geblieben. Den Plot mit den drei jugendlichen Protagonisten habe ich aber beibehalten. Ebenso das zentrale Thema: Freundschaft.
Und wie war das mit dem recht ausgefallenen Format bzw. Aufbau? Die 62 Kapitel sind ja Polizeiprotokollen nachempfunden, in denen die Jugendlichen abwechselnd jeweils aus ihrer Sicht und in ihrer Sprache die Geschichte erzählen. War das deine Idee oder kam das vom Verlag?
Nein, das kam schon von mir. Ich wollte anhand relativ schnell geschnittener, authentischer O-Töne Spannung erzeugen. Die Geschichte sollte sich dann nach und nach ganz unkommentiert entwickeln. Dass Moki, als eigentliche Hauptperson, nicht zu Wort kommt, klärt sich ja dann zum Schluss.
Ganz grob geht es bei der Geschichte um den dunkelhäutigen Moki und seine beiden Freunde Joss und Basti, die ein Abenteuerleben führen, das sehr an Tom Sawyer erinnert – nicht zuletzt, weil sie den Fluss, an dem sie zugange sind, Mississippi nennen. Dann finden sie eine Kiste mit Drogen, und sie geraten in einen ziemlich großen Schlamassel: Die „idiotensichere“ Sache gerät außer Kontrolle, und es entwickelt sich eine aufregende, aber auch witzige Kriminalgeschichte ohne moralischen Zeigefinger. Konntest du bei der Entwicklung der Geschichte eigentlich auf eigene Jugenderlebnisse zurückgreifen?
Naja, das meiste ist erdacht. Natürlich hätte man die wirklich waghalsigen Sachen wie das Springen von einem turmhohen Kran in einen unbekannten Fluss selbst gerne gemacht. Das überlasse ich dann aber doch lieber meinen Romanfiguren.
Noch mal kurz zu dem Schreibstil: Du arbeitest mit einer gewissen sprachlichen Varianz, auch um die Charaktere entsprechend herauszuarbeiten. Besonders auffällig ist das bei den Satzfragmenten von Basti. Ich persönlich finde ja, das hättest du noch mehr auf die Spitze treiben können.
Das ist für mich interessant zu hören. Bei allen positiven Rezensionen ist das nämlich der Punkt, der am häufigsten kritisiert wird. Eine Buchhändlerin beispielsweise hat mir geschrieben, dass sie gerade wegen dieser fragmentarischen Sprache das Buch nicht in den Bestand nehmen wolle. Dabei kommt Basti in den 62 Kapiteln nur 14-mal zu Wort.
War es nicht schwierig, in diesen unterschiedlichen Erzählstilen zu schreiben?
Überhaupt nicht. Da kommt mir wahrscheinlich meine Erfahrung aus der Werbung zugute. Dort waren auch immer sprachlich ganz unterschiedliche Texte gefragt.
Apropos Werbung: Die Gestaltung des Buchs und das Cover finde ich ziemlich gelungen.
Da habe ich einen sehr guten Freund aus Agenturzeiten ins Spiel gebracht, Enrico Pellegrino. Der Verlag war so begeistert, dass er inzwischen schon ein zweites Buch für Hanser gestalten durfte.
Wie wurde es eigentlich in deiner Schule aufgenommen, dass du schriftstellerisch tätig bist?
Ich habe meinen Schulleiter darüber informiert, aber ansonsten kein großes Ding daraus gemacht. Inzwischen hat es sich natürlich herumgesprochen. Ein Kollege von mir erarbeitet gerade eine Bühnenfassung, die jetzt im Juni in Oberursel als Musical aufgeführt werden soll – darauf bin ich ziemlich gespannt.
Die mediale Resonanz auf deinen Erstling war ausgesprochen gut. Wie lief denn der Verkauf?
Gute Kritiken sind zwar wichtig, aber nicht zwingend der Erfolgsfaktor für einen Bestseller. Lass es mich so sagen, der Verlag hat in der ersten Auflage 5.000 Stück gedruckt, eine zweite Auflage ist noch nicht geplant. Die Zielgruppe 13plus, also Jugendliche im Allgemeinen und Jungs im Speziellen, liest einfach nicht mehr so viel wie früher. Schuld daran ist natürlich nicht zuletzt das riesige Medienangebot, gegen das man „anschreiben“ muss.
Und trotzdem planst du mit Hanser dein zweites Buch für Ende 2017. Der Verlag glaubt also an dich. Worum wird es denn in der neuen Geschichte gehen? Wieder ein Thema für ein Jugendbuch?
Die Bezeichnung „Jugendbuch“ ist reines Schubladendenken und dient vorwiegend dem Buchhandel, der alles immer eindeutig kategorisieren will. Ich finde, an „Idiotensicher“ können auch Erwachsene ihren Spaß haben. Oder nimm „Tschick“: Das Buch wurde im Handel für Jugendliche platziert. Gelesen haben es mehrheitlich wahrscheinlich Erwachsene. Mit „Auerhaus“, das aus meiner Sicht auch so ein „Zwischending“ ist, wird es sich ähnlich verhalten. Jedenfalls wird mein neues Buch eine Art Roadmovie, das von Deutschland nach Rumänien bis ans Donaudelta führt und mit allerlei absurder Situationskomik aufwartet. Ein Roman also nicht nur für Jugendliche.
Erst auf dem Mississippi und jetzt entlang der Donau?
Stimmt. Der Mississippi ist in „Idiotensicher“ nur die Projektionsfläche meiner Protagonisten. Bis zum Donaudelta wird mein neuer Held aber tatsächlich unterwegs sein. Irgendwie hat es mir der Fluss angetan: Von der Quelle im Schwarzwald fließt der Fluss durch halb Europa, um schließlich als breiter Strom im Schwarzen Meer zu münden – eine spektakuläre Reise, nicht nur für die Donau, sondern auch für meinen Protagonisten.
Machst du eigentlich auch Lesungen?
Immer öfter. Anfangs war das eine Überwindung, aber inzwischen habe ich da ziemlich viel Spaß dran. Als Lehrer kommt man ja nicht so oft raus – und da freut es mich natürlich, wenn ich in Bremen, Regensburg oder demnächst auch im schwäbischen Raum lesen darf.
Du hast erwähnt, dass Jugendliche heute weniger lesen als früher. Wie kannst du da als Deutschlehrer gegensteuern?
Einfach ist das nicht. Zumal ich es als Gesamtschullehrer mit ganz unterschiedlich sozialisierten Jugendlichen zu tun habe. Das reicht von Flüchtlingen mit sehr schlechten Sprachkenntnissen über Kinder, die aus sogenannten bildungsfernen Haushalten kommen, bis hin zu Schülern, die mit Büchern aufgewachsen sind. Um die Klasse zum Lesen anzuhalten, gebe ich sogenannte Leseaufträge. Das sind etwa drei bis vier Bücher im Schuljahr, davon werden dann ein bis zwei vertieft im Unterricht behandelt. Klassiker wie „Kleider machen Leute“ von Gottfried Keller sind dabei eher schwer zu vermitteln. Da lief der „Medicus“ schon besser. Zurzeit lesen meine Achtklässler „Crazy“ von Benjamin Lebert.
Du versuchst also, die Schüler thematisch in ihrer Erlebniswelt abzuholen, wie man so schön sagt.
Ja, klar. Um aber auch so etwas wie „Leselust“ aufkommen zu lassen, ist es immer wichtiger, dass möglichst viel passiert. Kurze Sequenzen, witzige Dialoge, keine langwierigen Personen- oder Naturbeschreibungen. Da funktionieren Bücher nach den gleichen Prinzipien wie Filme. Unser Sehverhalten bzw. unsere Aufmerksamkeitsspanne hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Das betrifft aber nicht nur Jugendliche, sondern gleichermaßen Erwachsene. Ich selbst schaffe es ja kaum noch, mir im Fernsehen ein 90-minütiges Fußballspiel anzuschauen, ohne zwischendurch kurz wegzuzappen oder nebenbei irgendwelche Whatsapp-Nachrichten zu checken.
von Ulrich Erler (19.04.2016)