Balanceakt
Übersetzungen sind mitunter ein heikles Thema – nicht nur für den Autor und den Übersetzer, sondern auch für alle anderen, die hinter den Kulissen daran arbeiten. Wie lässt sich die Stimme eines Romans unverfälscht wiedergeben und wie kann sie trotzdem für den deutschen Markt attraktiv klingen? Corinna Santa Cruz kennt sich damit aus.
Corinna Santa Cruz ist eine echte Balancekünstlerin, auch wenn sie dazu nicht auf einem Seil läuft, sondern an ihrem Computer sitzt. Sie ist Lektorin für Übersetzungen, das heißt, sie vergleicht die deutsche Übersetzung mit dem Originaltext. „Ich achte darauf, dass der Tenor eines Romans beibehalten wird. Gleichzeitig muss der Roman aber dem deutschen Publikum nahegebracht werden“, beschreibt sie ihre Arbeit. Zur Veranschaulichung gibt sie ein aktuelles Beispiel: „Ich arbeite gerade an einem argentinischen Roman, in dem das Wort ‚che‘ oft verwendet wird.“ Dieses Wörtchen gilt in Argentinien sowohl als Anrede als auch als Füllwort und hat keine direkte Entsprechung im Deutschen. „Einerseits würde es für den deutschen Rezipienten befremdlich wirken, das Wort zu oft zu lesen – eine Eigenheit, die der Autor garantiert nicht intendiert hat. Andererseits aber soll das Fremde nicht kaschiert werden, es handelt sich ja um einen argentinischen Roman.“ Die Lösung in diesem Fall ist der Mittelweg: Der Begriff wird nicht unterschlagen, sondern sparsam eingesetzt.
Mit solchen Details beschäftigt sich Santa Cruz. Das Lektorat einer Übersetzung ist genauso wichtig wie das eines originären Textes. Kurioserweise gibt es in spanischen und lateinamerikanischen Verlagen gewöhnlich nicht den Beruf des Lektors, wie wir ihn kennen. „Der Text wird zwar Korrektur gelesen, aber wenig auf Figurenzeichnung oder inhaltliche Kohärenz geachtet.“ Das bedeutet, dass Santa Cruz auch Fehler im Ablauf korrigieren oder kleinere Streichungen vornehmen muss. „Das Original nachlektorieren“, nennt sie diese Schönheitskorrekturen. „Bei größeren Eingriffen setze ich mich natürlich mit dem Autor in Kontakt.“ Gekürzt werden muss oft: Spanischsprachige Schriftsteller bedienen sich einer blumigeren Sprache, als es die deutschen Leser gewohnt sind. Da fallen in der Übersetzung mehrere Adjektive unter den Tisch, die zu irritierend wirken könnten. „Ich arbeite sehr eng mit den Übersetzern zusammen, zumeist ist das eine harmonische Tätigkeit. Das ist bei dieser Art der Textarbeit wichtig“, so Santa Cruz. Besonders knifflige Probleme lösen sie gemeinsam. „Bis vor zwei Jahren habe ich die Änderungen noch mit Bleistift auf Papier eingetragen, jetzt arbeite ich aber nur noch digital, denn da kann man Korrekturvorschläge schneller hin- und herschicken.“
Ihre Liebe zur Literatur wurde vor allem durch Suhrkamp geprägt, wo die Linguistin Santa Cruz im Jahre 2000 zu arbeiten begann. Zusammen mit Michi Strausfeld und Jürgen Dormagen betreute sie den Zweig der lateinamerikanischen Literatur bei dem Verlag. „Als ich dort anfing, war der Boom um Literatur aus Lateinamerika bereits vorbei“, sagt sie. Trotzdem hatte sie spannende Aufgaben und konnte viel lernen. „Zu meinen Highlights gehört, dass ich durch Suhrkamp Autoren wie Isabel Allende und Mario Vargas Llosa persönlich kennenlernen konnte und mit dem damals noch unbekannten Carlos Ruiz Zafón auf Lesetour war.“ Einige Kontakte hält sie bis heute.
Mit dem Umzug Suhrkamps nach Berlin hörte auch Corinna Santa Cruz bei dem Verlag auf. „Ich bin ein paar Monate mitgegangen, um mir die Entwicklungen anzuschauen. Danach kehrte ich nach Frankfurt zurück und machte mich selbstständig.“ Seit fünf Jahren gibt es ihr Lektorat mit Sitz im Nordend bereits. Neben dem Fokus auf spanisch- und portugiesischsprachige Texte lektoriert sie auch Übersetzungen aus dem Französischen, dem Englischen und anderen romanischen Sprachen. „Meine Auftraggeber sind S. Fischer Verlag, Schöffling, DVA, Lübbe und einige kleinere Verlage“, erzählt Santa Cruz. Zu den Autoren zählen unter anderem Javier Cercas, Clarice Lispector oder Alice Munro.
Dabei ist es heutzutage nicht mehr so leicht, lateinamerikanische Romane bei Verlagen durchzusetzen. „In den 1960ern und 1970ern waren die Militärdiktaturen wie in Nicaragua präsent in den deutschen Medien, viele Zeitungen berichteten darüber“, sagt Santa Cruz. Michi Strausfeld läutete mit ihrer Pionierarbeit gleichzeitig die Hochzeit der lateinamerikanischen Literatur in Deutschland ein. Mit dem Fall der Mauer jedoch wandte sich das Interesse der deutschen Leser europazentrierten Themen zu, Lateinamerika verlor an Faszination. „Ein Problem besteht auch darin, dass man in Deutschland mit der lateinamerikanischen Literatur immer noch den Magischen Realismus verbindet.“ Beim „realismo magico“, zu dessen bekanntesten Vertretern Gabriel García Márquez und Isabel Allende gehören, wird die Realität mit mythologischer Fiktion vermischt. Schriftsteller jüngerer Generationen haben sich von dieser literarischen Strömung jedoch abgewandt. Das hat mehrere Gründe: „Die Lebensverhältnisse haben sich verändert, die Diktaturen wurden weitgehend von demokratischen Systemen abgelöst, dafür gibt es neue Formen der Gewalt. Außerdem hat sich die Literatur vom Land in die Metropolen verlagert“, zählt Santa Cruz auf. „Und natürlich ist die jüngere Generation mobiler. Aber warum sollte ein Verlag ein Buch eines Kolumbianers einkaufen, der über London schreibt, anstatt das eines Engländers?“
Trotzdem macht sich Corinna Santa Cruz über die Zukunft keine Sorgen, zu tun gibt es genug. Sehr stolz ist Santa Cruz zum Beispiel auf ihre Mitarbeit bei dem Fotoband „La Frontera“, dem ersten Werk des im vergangenen Jahr gegründeten Verlages Edition Faust. „Das Buch behandelt die Grenze zwischen Mexiko und den USA“, berichtet Santa Cruz, „ich habe dafür mexikanische Autoren ausgewählt, die extra für den Band Texte zur Problematik der Grenze verfassten.“ Neben dieser Schreibtischarbeit moderiert die Lektorin zudem Lesungen und Podiumsdiskussionen, unter anderem im Instituto Cervantes und in der Romanfabrik. „Da ich sonst meistens alleine arbeite, macht mir dieser Austausch besonders Spaß.“
Und wenn das nicht genug Abwechslung und Austausch ist, dann hilft immer noch der Sport: Einmal die Woche gibt die Lektorin an der Goethe-Uni einen Zirkeltraining-Sportkurs mit dem klangvollen Namen „Bootcamp“. Und auch privat betreibt Santa Cruz viel Sport, vorzugsweise Jogging. „Die Bewegung ist ein guter Ausgleich für die Arbeit am Computer. Außerdem fallen mir beim Laufen oft Lösungen für Formulierungen ein, über die ich am Schreibtisch ergebnislos gegrübelt hatte.“
von Isabella Caldart (14.04.2015)