Zwischen Krimis, Katzen und Politik
Cora Stephan schreibt spitze politische Kommentare. Da gibt es aber auch noch Anne Chaplet und Sophie Winter – unter diesen Pseudonymen verfasst sie Krimis und Katzenromane. Und auch bei ihren Aufenthaltsorten lässt sie sich nicht festlegen und pendelt zwischen Vogelsberg, Südfrankreich, Frankfurt und Berlin. Eine Begegnung mit einer vielschichtigen Persönlichkeit.
Ließe man sich von unterschiedlichen Leuten die zehn bekanntesten Frankfurter Autoren nennen, ist die Wahrscheinlichkeit einigermaßen groß, dass Cora Stephan dabei ist. Die einen kennen ihre Bücher, die anderen erinnern sich an sie als Rundfunkmoderatorin für den hr oder als Essayistin für Kursbuch und Merkur sowie ZEIT und SPIEGEL. Einige erinnern sich aber vielleicht auch noch an sie aus den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren: Damals holte Matthias Horx sie zum „Pflasterstrand“, dem Sponti-Stadtmagazin – sie sollte sich um Rechtschreibung und Grammatik kümmern. Mit Horx, heute Zukunftsforscher, und Georg Dick, später Diplomat, ist sie noch immer befreundet – und sie schwärmt von diesen Zeiten: „Wir haben mit kleinster Besetzung und vielen Pseudonymen das ganze Heft vollgeschrieben.“
Geplant war das alles nicht. Stephan, geboren und zur Schule gegangen in Osnabrück, war nach dem Abitur nach London gereist. Dort standen die Zeichen auf Sex and Drugs and Rock ‘n’ Roll. Dagegen erschien ihr die deutsche Studentenbewegung bei ihrer Rückkehr als verkopft und wenig lustvoll. „Die verschiedenen linken Politsekten bekämpften sich unerbittlich“, so Stephan. Im Gegensatz zu Hamburg, wohin sie nach ihrer Londoner Zeit gezogen war, empfand sie das Klima in Frankfurt dann schon als erheblich entspannter.
Als sie 1976 ihre Dissertation über die Sozialdemokratie des 19. Jahrhunderts abgeschlossen hatte, erhielt sie zwar einen Lehrauftrag an der Universität, aber keine feste Stelle: „Ich hatte das falsche Geschlecht und kein SPD-Parteibuch.“ Doch das, fügt sie hinzu, sei im Nachhinein ihr Glück gewesen. Stephan lektorierte und übersetzte unter anderem für den Suhrkamp Verlag – schlecht bezahlt, aber gut, um das Handwerk zu lernen. „Nach dem Deutschen Herbst 1977 flüchteten sich die, die von den orthodox-linken Sekten ebenso wenig hielten wie von den wild gewordenen Schießtrupps der RAF, ins alternative Leben: In Frankfurt blühten die Szenekneipen, Cafés, Buchläden – und vor allem Karl Napps Chaos Theater und das Sogenannte Linksradikale Blasorchester“, erinnert sich Stephan, die sich damals das Querflötenspiel beibrachte, um beim Blasorchester mitspielen zu dürfen. Dort musizierten Profis und Laien zusammen: „Ein großartiges, chaotisches Blechbläserensemble, das hinreißende Stücke von Hanns Eisler und revolutionäres Gesangsgut spielte – vor Brokdorf genauso wie beim Karneval in Venedig.“ Linksradikale Blasmusik? „Heute wird das „Sogenannte“ gern übersehen. Man nannte damals alles, was links von der SPD war, linksradikal, etwa so, wie heute alles rechts von Merkel als rechtsradikal tituliert wird“, erklärt Stephan. Es folgten bürgerliche Jobs beim Hessischen Rundfunk und als Korrespondentin im Bonner Büro des SPIEGEL. Seit 1987 ist sie freie Autorin.
Doch wie geht das zusammen, dass jemand, der einmal linksradikale Blasmusik gespielt hat, sich 25 Jahre später als Merkel-Wählerin outet? „Ja, ich habe 2005 öffentlich dazu aufgerufen, sie zu wählen, was einigen meiner linken Freunde ganz und gar missfiel. CDU war ja des Teufels und über Angela Merkel machten sich auch Feministinnen ziemlich unfein lustig.“ Hat da jemand etwa seine konservative Ader entdeckt? „Nein, mir hat Merkels markt- und reformorientiertes Programm gefallen. Davon wollte sie ja leider schon kurz nach der Wahl nichts mehr wissen. Weshalb ich meinen Irrtum eingestehen musste: So entstand dann auch mein 2011 erschienenes Buch „Angela Merkel. Ein Irrtum“, in dem ich sie aus marktliberaler Sicht kritisiere.“ Und was entgegnet sie jenen, die sie als Renegatin bezeichnen? „Ich habe die Dinge schon immer kritisch hinterfragt, egal, wie der Zeitgeist wehte. Und ich bleibe meiner Meinung nicht treu, wenn gewichtige Evidenzen gegen sie sprechen.“
Fast zwanzig Jahre hat Stephan sich mit der Kulturgeschichte des Krieges beschäftigt – das Ergebnis hieß 1998 „Das Handwerk des Krieges“. Und dieses Buch war auch der Grund, warum sie mit dem Krimischreiben anfing. „Ich brauchte Abstand von diesem so vertrackt schwierigen Thema. Die Verlegerin Antje Kunstmann riet mir, einen Krimi zu schreiben. Nach zehn Sachbüchern eine enorme Umstellung: „Ich musste lernen, von der allgemeinen Ebene hinabzusteigen auf die des Individuums. Ein immens spannender Lernprozess.“ Und warum das Pseudonym Anne Chaplet, etwa weil sich Cora Stephan anfangs fürs Schreiben von „Schundromanen“ schämte? „Ganz im Gegenteil. Ich wollte meine Krimis vor der Häme lieber Kollegen schützen. Und das Wunder geschah: Der Debütroman einer völlig unbekannten Autorin wurde ein Überraschungserfolg.“ Die inzwischen zehn Vogelsbergkrimis werden von drei Protagonisten getragen: Paul Bremer, ein Ex-Werbefachmann, der von Frankfurt aufs Land nach Klein-Roda geflüchtet ist, Karen Stark, die Frankfurter Staatsanwältin, sowie Giorgio DeLange von der Frankfurter Kripo. Gut für den Erfolg und damit für die Verkaufszahlen war sicherlich, dass gerade in dieser Zeit Regionalkrimis einen wahren Boom erlebten. Wobei die Autorin bei dem Stichwort Regionalkrimi leicht in Wallung gerät. Da die ach so lustigen, harmlosen Mordgeschichtlein aus der deutschen Provinz sprachlich nicht gerade in der Champions League spielen, mag sie sich dort nicht einreihen. Stephan sieht sich eher in der englischen Kriminaltradition, allerdings nicht bei in Deutschland so beliebten Autoren wie Agatha Christie und Edgar Wallace. „Letztlich halten noch immer viele Menschen Krimis für Literatur zweiter Klasse. Im angelsächsischen Raum ist das anders, denken Sie an Reginald Hill oder an Elizabeth George und Dorothy Sayers. Aber auch in Deutschland tut sich was, da muss man gar nicht nach Skandinavien gehen, Elisabeth Herrmann oder Mechtild Borrmann sind doch ganz großartige Autorinnen.“ Und auch dem deutschen TV-Tatort kann Stephan etwas abgewinnen: „Nina Kunzendorf aus dem Frankfurter Team fand ich grandios, schade dass sie so schnell wieder ausgestiegen ist.“
Sie selbst beschreibt in ihren Krimis die Gegensätze zwischen Stadt und Land – ganz konkret zwischen Frankfurt und dem fiktionalen Dörfchen Klein-Roda. Ein Spannungsfeld, in dem sie selbst lebt. Die meiste Zeit verbringt die agile Autorin mit der roten Lockenmähne im Vogelsberg. Dort lebt sie zusammen mit drei Katzen ganz unprätentiös in einem 170 Jahre alten Fachwerkhäuschen, das wahrscheinlich von mehr Kühen und Schweinen als Menschen umgeben ist. Was vor über dreißig Jahren als Wochenendrefugium erstanden wurde, ist zum Hauptwohnsitz geworden: „Die Nachbarn sind sehr nett und in der Ruhe werde ich nicht vom Schreiben abgelenkt – wenn ich nicht gerade eine Rede beim Jubiläum der Freiwilligen Feuerwehr halten darf, was natürlich eine große Ehre für mich als zugezogene Städterin war.“ Mindestens einmal in der Woche fährt sie nach Frankfurt, entweder auf den Konstabler-Wochenmarkt oder in die Deutsche Nationalbibliothek und die Unibibliothek: „Der neue Campus gehört für mich zu den schönsten Universitätsanlagen überhaupt.“ Sie pendelt auch oft nach Berlin zu ihrem Lebensgefährten und einige Monate im Jahr verbringt sie in Südfrankreich im Department Ardêche, wohin ihr Bruder vor vielen Jahren als Aussteiger ausgewandert ist. „Das schärft natürlich auch den Blick auf Deutschland. Wir sind im Vergleich zu den Franzosen mit ihrem Nationalstolz und ihrer formalen Höflichkeit unheimlich entspannt, lässig und weltoffen. Ich verstehe überhaupt nicht, warum wir uns andauernd einreden, wir seien fremdenfeindlich. Im Übrigen werden wir im Ausland sehr geschätzt und für unsere mittelständischen Weltmarktführer bewundert.“
Apropos Deutschland: Gerade hat die Autorin einen Roman abgeschlossen, für den sie intensiv in Frankfurts Bibliotheken recherchiert hat – kein Krimi und auch kein Katzenroman. Es handelt sich vielmehr um einen großen Deutschlandroman, der die Zeit von 1936 bis 1999 absteckt. Dass Stephan immer noch tief im Stoff steckt, an dem sie etwa drei Jahre gearbeitet hat, zeigt sich schon daran, dass sie kaum zu bremsen ist, wenn sie von der Handlung erzählt. „Ich verarbeite darin auch einen Teil meiner Familiengeschichte, selbst wenn die Personen und Handlungen weitgehend erfunden sind. Wichtig dabei ist mir, dass ich die Geschichte aus der Zeit heraus erzähle und nicht aus der Rückschau.“ Wann das neue Buch erscheint, steht noch nicht fest. Klar ist aber, dass sie auch dann wieder auf Lesereise gehen wird, was sie ausgesprochen gerne tut, weil sie den Austausch mit ihren Lesern schätzt.
von Ulrich Erler (23.06.2015)