„Ich könnte auch Tütensuppen verkaufen!“
... sagt Hugendubel-Filalleiterin Claudia Ordelmans. Theoretisch! Denn sie ist ein echter Bookster und verkauft daher sehr viel lieber Bücher. Ein Gespräch über Rotwein trinkende Kiez-Buchhändler, Schrottkarren im Schaufenster von Autohäusern und über 25 Jahre Hugendubel am Steinweg.
In einem SPIEGEL-Artikel von 1995 mit dem Titel „Die Seele ist in Gefahr“ steht folgendes Zitat: „Das Angstgespenst hat einen Namen, und der heißt Hugendubel." Sind Sie froh, dass das Angstgespenst heute einen anderen Namen hat: Amazon?
Natürlich war diese Anfeindung damals kein besonders schönes Gefühl. Ich habe ja genau in diesem Jahr bei Hugendubel angefangen. Nicht zuletzt weil ich zu denen gehörte, die Hugendubel immer toll fanden. Diese Größe, die Auswahl und die Möglichkeit, dort frei und ausgiebig stöbern zu können. Das fand ich super. Dass wir jetzt nicht mehr so in der Schusslinie sind, ist zumindest nicht unangenehm.
Ist für Sie Amazon auch ein „Angstgespenst“?
Angstgespenst nicht, aber natürlich kämpft ein Unternehmen wie Hugendubel genauso mit den Auswirkungen wie die gesamte Branche.
Vielleicht hat es Hugendubel auch besonders schwer gegen Amazon, weil beide einen sehr kaufmännischen Blick auf das Kulturgut Buch haben? Günter Berg ätzte einst, dass Buchhandelsketten genauso gut Tütensuppen vertreiben könnten – was Amazon übrigens heutzutage lustigerweise macht.
Also ich weiß, dass alle meine Mitarbeiter dafür leben, Bücher zu lesen und zu empfehlen – mit Tütensuppen könnten sie sicherlich nichts anfangen.
Und Sie persönlich, sind Sie auch ein richtiger „Bookster“?
Ich selbst könnte wahrscheinlich sogar Tütensuppen verkaufen. Aber ich will es nicht! Bücher waren schon immer ein ganz wichtiger Bestandteil in meinem Leben. Ich weiß noch, wie ich früher jeden Dienstag mit meiner besten Freundin in die Stadtbücherei gefahren bin, um mir dort Fahrradkörbe voller Bücher auszuleihen. Ein Leben ohne Lesen und ohne Bücher war und ist für mich überhaupt nicht vorstellbar.
Der Buchhandelsketten-Gründer Heinrich Hugendubel sagte einmal: „Ich bin zu 51 Prozent Kaufmann, um zu 49 Prozent Buchhändler bleiben zu können.“ Ist das vielleicht auch Ihr Erfolgsrezept?
Auf jeden Fall. Der Buchhändler, der abends vor seinem Laden ein Glas Rotwein trinkt und dazu eine Zigarre raucht – ein Bild, das ich aus Berlin gut kenne –, ist zwar auch toll, aber wenn man so ein Unternehmen wie Hugendubel leitet, muss man doch anders ticken. Und ja, wir verkaufen Bestseller nicht zuletzt besonders gerne, viel und gut, weil wir uns damit auch die vielen kleinen, feinen Titel leisten können. Es ist völliger Quatsch, wenn uns immer vorgeworfen wird, wir würden nur auf Mainstream setzen. Daneben haben wir zum Beispiel auch wahnsinnig gut sortierte Belletristik-Abteilungen.
Woher bekommen Sie eigentlich Ihre Bücher? Bestellen Sie noch selbst?
Das ist eine Mischung. Wir haben natürlich einen zentralen Einkauf in München, aber um die 60 Prozent kaufen wir vor Ort ein. Ich habe hier zum Beispiel einen Kollegen, der ein unheimlich gutes Gespür dafür hat, was sich gut verkaufen könnte. Er bekommt zum Teil schon sehr früh von den Verlagen die Fahnen zugeschickt und sieht dann gleich, was gut gehen könnte und was nicht. Lustigerweise sind die Bücher, die er sehr positiv einschätzt, oft welche, die er persönlich nicht mag. Er kennt halt unsere Kunden.
Vor wenigen Jahren wurden bei Ihnen die literarischen Neuerscheinungen, die Klassiker und die „schönen Bücher“ vom Erdgeschoss in den ersten Stock verbannt – unten locken jetzt Krimis, Sonderangebote und DVDs. Wieso?
Weil nur sehr wenige gezielt in die Buchhandlung gehen, um zum Beispiel Sonderangebote zu kaufen – und sie dann auch weiter hinten suchen würden. Das heißt, diese Sachen müssen weiter nach vorne, damit sie einfach nebenbei und spontan mitgenommen werden können. Um einen bestimmten Roman zu finden, gehe ich dagegen schon mal ein paar Schritte weiter. Hinzu kommt, dass Kunden, die die genannten Bücher kaufen, eher Ruhe schätzen, die ein trubeliger Eingangsbereich nicht bieten kann.
Katharina Hesse von der Stiftung Buchkunst sagte einmal im Bookster-Gespräch, sie könne ein solches Vorgehen nicht verstehen. Das sei, wie wenn ein Autohaus die Gebraucht- und Unfallwagen ins Schaufenster stellte.
Ein interessanter Vergleich.
Hugendubel Frankfurt gehört ja mit über 4.000 Quadratmetern zu den großen Filialen des Konzerns– die besonders unter Druck sind. Manche müssen schließen, wie gerade erst in Stuttgart, oder sie werden verkleinert. Wie optimistisch sind Sie für Frankfurt?
Sehr optimistisch – wir haben gerade den Mietvertrag um 15 Jahre verlängert. Ganz abgesehen davon, dass man diese Filiale aufgrund ihrer Architektur nur schwer verkleinern könnte, käme vermutlich auch niemand auf die Idee, sie schließen zu wollen. Schließlich ist sie die zweitumsatzstärkste Filiale von Hugendubel – trotz der Einbußen, die wir vor einigen Jahren dank Amazon natürlich auch hier hatten.
Wie haben Sie denn auf die Konkurrenz durch Amazon reagiert?
Einerseits durch den Ausbau des eigenen Digitalgeschäfts auf Hugendubel.de, andererseits mit unserem eigenen Kindle-Konkurrenten, dem tolino. Darüber hinaus mussten wir aber natürlich auch unsere Unternehmensphilosophie überdenken.
Das heißt?
Der Fokus auf unsere Kunden hat sich zum Beispiel stark verändert. Wir sind ja mit dem Selbstbedienungskonzept groß geworden, also mit der Idee, dass der Kunde ungestört überall reinschauen kann und dabei in Ruhe gelassen wird. In Teilen kann man das aber heutzutage auch im Internet. Inzwischen beobachten wir bei unseren Kunden, dass sie mit einer anderen Erwartungshaltung kommen. Sie haben sich ganz bewusst gegen den anonymen Onlinekauf entschieden und wollen den Kontakt zu Menschen. Der Kunde von heute will wieder mehr wahrgenommen, angesprochen und beraten werden – und sich dafür auch nicht an einem Infocounter anstellen, mit einem Mitarbeiter, der wie auf dem Amt einen PC bedient.
Zum Schluss muss ich Sie noch mit dem Thema „Verdrängung“ quälen. Wissen Sie eigentlich, dass Hugendubel schon bei seinem Einzug vor 25 Jahren eine Frankfurter Institution verdrängt hat: Das Kino Metro –noch heute zeugen die halbrunden Wände des Treppenhauses von der ehemaligen Filmleinwand.
Und davor stand hier wohl der „Schwan“, ein legendäres Hotel. Wie sich diese „Verdrängung“ damals genau zugetragen hat, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass es zu der Zeit wahnsinnig viele Kinos in Frankfurts Innenstadt gab, von denen sich die meisten nicht halten konnten. Das ist eben der Lauf der Zeit – und hing damals vielleicht nicht unbedingt damit zusammen, dass andere Mieter mehr Geld zahlen konnten. Aber: Erfahrung mit branchenübergreifender Verdrängung haben wir übrigens auch schon gemacht – am Marienplatz in München, wo wir von der Telekom überboten wurden.
Zumindest kann Hugendubel dort aber wohl in kleineren Räumen bestehen bleiben. Ein Schicksal, das der Buchhandlung Carolus – quasi der letzte verbliebene Konkurrent in der Innenstadt – wohl nicht vergönnt ist.
Wir sind keine Konkurrenten, ich sehe uns als „Nachbarn“ und an der Stelle vielleicht Leidensgenossen. Wenn Carolus schließen muss, freut mich das überhaupt nicht, auch nicht klammheimlich. Ich finde es immer schade, wenn irgendwo eine Buchhandlung zumacht. Im Gegenteil: Ich freue mich total, wenn zum Beispiel eine kleine Kiezbuchhandlung mit einem ungewöhnlichen Konzept Erfolg hat. Und niemandem weitererzählen: Wenn ich solche Kleinode entdecke, kaufe ich dort auch oft etwas.
von Martin Schmitz-Kuhl (02.06.2015)