„Nichts ist so konkret und doch so offen“
Comics galten lange Jahre als Schund oder bestenfalls als Lesestoff für Kinder. Seit den 1980er-Jahren hat nicht nur die Akzeptanz kontinuierlich zugenommen, auch das Angebot ist deutlich vielschichtiger geworden. Christopher Tauber gehört der neuen Generation der Comicmacher an und ist nicht nur Autor und Zeichner, sondern auch Verleger.
Christopher Tauber, Künstlername Piwi, ist ein freundlicher Mensch. Es ist ihm unangenehm, dass unser Gesprächstermin zweimal verschoben werden muss. Der Grund dafür hat mit seinem Beruf zu tun. Piwi zeichnet, schreibt und verlegt Comics. Er tut das durchaus erfolgreich. Dennoch, als Comicautor muss man sich in Deutschland vielfältig orientieren, um vom Beruf leben zu können. Zwei Tage vor unserer ersten Verabredung musste er absagen mit der guten Nachricht, dass der Kosmos Verlag einen zweiten Comicband zu den „Drei Fragezeichen“ in Auftrag gegeben und ihn nach Stuttgart gerufen hat. Unser nächster Versuch scheiterte, weil er eine Kollegin kurzfristig als Workshopleiter im Rahmen des Freiwilligen Sozialen Jahres vertreten musste. Vielseitigkeit ist wichtig in seinem Job, nur vom Comicschreiben lässt sich in Deutschland kaum leben. Sie liegt ihm aber auch, diese Abwechslung, bei der das gedruckte Produkt – ein Heft, ein Band, ein Buch – fast immer im Mittelpunkt steht. „Geschichten lassen sich eben am besten in Buchform transportieren“, sagt Piwi. „Ein Buch ist ein Taxi für die Geschichte. Oder ein LKW.“ Dabei ist jeder Aspekt des Buches wichtig: das Papier, das Cover, die Bindung. Schließlich ist so ein Buch ja „ein Begleiter für eine gewisse Zeit“.
Mit 15 Jahren veröffentlicht Piwi in Wächtersbach sein erstes Heft: „Paranoid“ ist ein Fanzine, also nicht einfach nur eine einzige Geschichte, sondern eine Zusammenstellung verschiedener Stories von verschiedenen Autoren – selbst redigiert, gestaltet, gedruckt und vertrieben. Nach dem sechsten Heft tut man sich mit dem Leipziger Fanzine „Wacka Wacka“ zusammen, so entsteht „Jackpot Baby“. Kollaborationen haben es ihm bis heute angetan: Comics machen ist für ihn etwas, was er mit anderen zusammen tun möchte. Die Rolle kann dabei wechseln. Selbst zu zeichnen kann für ihn genauso befriedigend sein, wie einen anderen Autor als Lektor zu begleiten. Eine Story zu schreiben macht ihm genauso viel Spaß wie die Typografie für ein Cover zu entwerfen. Bei dem Drei-Fragezeichen-Comic machte er auch die Typo für den Einband, „ich durfte sogar die Verlagstypo neu gestalten“, sagt er ein bisschen stolz.
Die Zusammenarbeit mit einem großen Verlag ist nicht immer so zufriedenstellend wie im Falle des Jugendbuchklassikers. Schlechte Erfahrungen sind ein Grund dafür, dass er sich 2009 entschließt, mit seinen Mitstreitern Stefan Dinter und später Asja Wiegand den Zwerchfell Verlag zu übernehmen: Bei Zwerchfell wird 2007 Piwis Comic „Disco amore“ publiziert, er betreut weitere Veröffentlichungen und als sich der Verlagsgründer zurückzieht, steigt er als Leiter ein. Der Verlag hat einen sehr guten Ruf in der sogenannten Independent-Szene. Prominente Comicautoren wie Isabel Kreitz oder Felix „Flix“ Görmann haben dort früh veröffentlicht. Ein entscheidender Impuls, ins Verlegerfach zu wechseln, kam von seinem Kollegen Mawil. Mit 16 bekam Piwi den ersten Comic des Berliner Autors in die Hand, „Super-Lumpi“, und dachte sich sofort: „So muss man das machen“. Als eben jener Mawil etliche Jahre später Piwi auf einen Comic hinwies, „der dringend in Deutschland verlegt werden müsste“, übernahm er das - der Einstieg war gemacht. Der Verlag wird gleichsam ehrenamtlich betrieben. Aber die Autoren werden bezahlt. Und die Produktion muss durch Verkäufe abgedeckt werden. Kredite werden keine aufgenommen. Das führt dann mitunter zu seltsamen Situationen: Verkauft sich ein Comic sehr gut, kann nicht sofort eine zweite Auflage nachgedruckt werden, weil dafür erst einmal das Geld fehlt. Also entschloss man sich, für zwei Titel mit einem großen Verlag zu kooperieren, „Die Toten“ und „Das Leben ist kein Ponyhof“ erschienen bei Panini. Auf der Verlagshomepage wird das ausführlich begründet: Glaubwürdigkeit spielt in der Szene eine große Rolle.
In die „Die Toten“ werden verschiedene Zombie-Geschichten versammelt, die alle in deutschen Orten oder Städten spielen. Der Erfolg der Reihe belegt, dass es für Horror-Storys einen Markt gibt – der aber scheinbar nicht aus heimischer Produktion bedient wird. „Kennst du einen Horrorfilm aus Deutschland aus den letzten Jahren? Einen Autor? Es gibt gute Horrorautoren und auch Filmemacher mit Ideen, sie bekommen aber nicht die Präsenz, die sie verdienen. Der einzige Bereich, der funktioniert, sind Hörspiele“, stellt Piwi fest. Warum das so ist, kann er sich auch nicht erklären, aber er bleibt weiter dran. Viele Aufgaben, das gibt er zu, die mit dem Job des Verlegers zu tun haben, nerven ihn. Aber die Freude überwiegt. „Es macht richtig Spaß, mit den Autoren zu arbeiten und dabei zu sein, wenn etwas entsteht.“ So werden zwischen drei und fünf Titel im Jahr veröffentlicht – Christopher Tauber und seine Mitstreiter sind damit zufrieden.
Die Küche ist für Piwi ein guter Ort zum Zeichnen und Schreiben – also um seine ganz eigenen Projekte zu entwickeln. Die Recherche mag er besonders und wenn es geht, reist er auch zu den Orten seiner Storys. Dort macht er Skizzen („ich bin ein beschissener Fotograf“), notiert sich Ideen und Dialoge. Das Entscheidende passiert dann im Kopf: die Suche nach dem Ton, nach der Stimmung der Geschichte. „Am leichtesten fällt mir das bei Menschen“, sagt er, „bei Landschaften und Szenerien will ich noch dazulernen.“ Alles Formelhafte möchte er dabei vermeiden, die Figuren sollen echt sein. Ob ihm das nicht schwerer falle, frage ich ihn, wenn er eine Vorlage wie die „Drei Fragezeichen“ bearbeiten muss. „In dem Fall nicht. Ich kenne die Figuren gut. Ich bin Fan, also sind es auch irgendwie meine Figuren.“ Am liebsten mag er Peter, „der hat nicht nur eine Funktion, der ist ambivalent, eben ein Mensch“.
Neuerdings macht Piwi auch kleine Filme und dreht Musikvideos. Im Zentrum bleibt aber die neunte Kunst – der Comic. Auf die Frage, was nur Comic kann, antwortet Piwi nach kurzer Überlegung: „Nichts ist so konkret und gleichzeitig so offen wie ein Comic. Die Bilder sind konkreter als Literatur, aber offener als Film.“ Dann legt er noch ein Zitat des Comic-Theoretikers Scott McCloud nach: „Den Raum zwischen den zwei Bildern, den musst du selbst füllen.“
von Jakob Hoffmann (07.06.2016)