Hobby: Bloggerin. Beruf: Bookster.
Warum bloggen Blogger, wenn sie doch meist keinen einzigen Cent damit verdienen? Ein Grund könnten die Türen sein, die sich dadurch öffnen. Man muss sie nur erkennen und durchgehen – wie zum Beispiel Caterina Kirsten.
„Literaturblogger wollen gar keine Kritiker sein.“ Mit gleichnamigem Artikel auf der Website des Börsenblatts des Deutschen Buchhandels trat Caterina Kirsten im Mai 2015 eine Diskussion über die Rolle von Literaturblogs los. „Dabei ist die Debatte über die Rolle der Blogs nicht neu, ich war selbst erstaunt, dass es so viele Reaktionen auf meinen Artikel gab“, wundert sich die Dreißigjährige noch heute. Zudem war die Überschrift sehr verkürzt dargestellt. Denn viele Blogs haben zwar in der Tat wenig mit dem klassischen Feuilleton gemein, es gibt jedoch auch Blogger, die durchaus Kritiker sein wollen, so Kirsten. Und sie weiß, wovon sie spricht. Bereits seit 2010 betreibt sie nämlich SchöneSeiten, einen Blog für Gegenwartsliteratur, der zu den bekannteren in Deutschland zählt.
Und was ist dann das Besondere an einem Blog – gerade in Abgrenzung zum klassischen Feuilleton? Laut Kirsten liegen die Chancen der Laienkritik in ihrer Verschiedenartigkeit: „Die Landschaft der Literaturblogs ist so vielfältig wie die Literatur selbst.“ Zudem hätten Blogs einen ungleich größeren Spielraum, unterlägen weder Zwängen noch Einschränkungen, könnten sich Unbekanntem und Abseitigem widmen und böten unbegrenzt Platz für Entdeckungen. Hier fänden Genres, Formate und Themen Beachtung, schwärmt Kirsten, die andernorts zu kurz kommen. Und auf ihrem eigenen Blog? „Ich selbst bin eher die klassische Kritikerin – und die Spielräume, die ein Blog bietet, nutze ich in meinem eigenen Blog eigentlich viel zu wenig“, gibt sie zu. Anders als jene Blogbetreiber, die ausschließlich Empfehlungen aussprechen, rezensiert Kirsten auf ihrem Blog zudem auch Romane, die sie nicht überzeugen konnten. „Ich persönlich finde, dass man aus negativer Kritik, wenn sie gut gemacht ist, viel mitnehmen kann. Ich verstehe aber Blogger, die sich nicht näher mit einem Buch beschäftigen wollen, das sie blöd finden. Schließlich ist das Schreiben eines Blogbeitrages zeitintensiv und wird nicht bezahlt.“
Vielleicht liegt ihre Art der Auseinandersetzung mit Literatur auf ihrem Blog aber auch daran, dass sie SchöneSeiten zwar dezidiert als Hobby betreibt, man aber von „Laienkritik“ in ihrem Fall kaum mehr sprechen kann. Denn sie mag zwar Hobbybloggerin sein, darüber hinaus ist sie aber quasi ein Profi-Bookster. Dabei entdeckte Kirsten, die in Erfurt geboren und auf der Insel Rügen aufgewachsen ist, ihre Liebe zur Literatur erst während ihres Bachelorstudiums an der Freien Universität Berlin. Ursprünglich auf Sprachwissenschaft konzentriert, wechselte sie irgendwann im Nebenfach zur Vergleichenden Literaturwissenschaft. Für ihren Master verschlug es Kirsten nach Italien, wo sie auch ihre Abschlussarbeit zum Thema Holocaustliteratur verfasste. Nach einem längeren Praktikum bei einer Mailänder Literaturagentur kam sie für eine Hospitanz beim Aufbau Verlag wieder nach Berlin. Für ihre Stelle bei der Literaturagentur copywrite – deren Inhaber Georg Simader vor einiger Zeit bereits auf Bookster porträtiert wurde – zog sie vor vier Jahren schließlich nach Frankfurt. Dort lektoriert sie seitdem Texte und scoutet nach jungen Talenten.
Der Teilzeitjob bei copywrite ermöglicht ihr eine relativ flexible Zeiteinteilung. Gutes Zeitmanagement benötigt Caterina Kirsten auch, da sie neben copywrite und SchöneSeiten noch mehrere Projekte betreut. „Den Blog betreibe ich nur zum Spaß, aber durch ihn haben sich einige interessante Kooperationen ergeben.“ Seit zwei Jahren beispielsweise ist sie für die offizielle Facebook-Seite des Deutschen Buchpreises verantwortlich. Ein Jahr zuvor gab es zum ersten Mal eine Bloggeraktion, bei der bekanntere Literaturblogs die Nominierten der Long- und Shortlist rezensierten. Damals war Kirsten noch als Bloggerin dabei. 2013 wurde sie von den Verantwortlichen des Deutschen Buchpreises dann gebeten, das Profil auf Facebook mit Inhalten zu füllen und die Buchpreisblogger zu koordinieren. „Ab der Bekanntmachung der Longlist im August bin ich bis zur Buchmesse damit ganz schön beschäftigt!“
Ebenfalls dank SchöneSeiten ist Kirsten seit zwei Jahren die offizielle Berichterstatterin des Mannheimer Literaturfestivals lesen.hören. Außerdem engagiert sie sich ehrenamtlich für das Projekt We read Indie, das sogenannte „Indie-Literatur“, also Bücher unabhängiger, kleiner Verlage, rezensiert und diese Verlage sowie inhabergeführte Buchhandlungen vorstellt. „Als ich damals begann, meinen Blog mit Inhalten zu füllen, habe ich gleichzeitig auch angefangen, mich mit anderen Interessierten aus der Szene zu vernetzen“, verrät sie. „Es ist toll, dass diese Möglichkeiten und Kollaborationen daraus entstanden sind.“
Ihr neuestes Baby ist das E-Book „Willkommen! Blogger schreiben für Flüchtlinge“, das seit Anfang Dezember erhältlich ist. Es entsprang der Initiative Blogger für Flüchtlinge, die im Sommer von Betreibern verschiedener Blogs ins Leben gerufen wurde. Ziel war es, für die in Moabit gestrandeten Flüchtlinge 5.000 Euro zu sammeln. Schnell schlossen sich weitere Blogs der Aktion an und auch große Medien berichteten darüber. So kam es, dass das ursprüngliche Ziel und die Erwartungen weit übertroffen wurden: Über 130.000 Euro wurden bis dato gespendet. „Ein Nebenprodukt des vielfach geteilten Spendenaufrufs waren die persönlichen Texte, die dazu gepostet wurden. Und ich dachte mir: Daraus sollte man mehr machen.“ 140 Zeichen in Twitter genügten Caterina Kirsten, um viele für diese Idee zu begeistern. Schließlich fanden sich weitere Lektoren, Autoren und Blogger, die gemeinsam mit Kirsten geeignete Texte auswählten, ordneten und redigierten – alles ehrenamtlich. „Am meisten Arbeit haben wir für das Sichten und Lesen der zahlreichen Texte verwendet. Insgesamt 54 wurden für das E-Book ausgesucht.“ Die Texte sind verschiedenster Art. Es gibt persönliche Erfahrungsberichte oder Anekdoten geflohener Eltern oder Großeltern („Letztlich haben viele von uns einen vergleichbaren Hintergrund“, so Kirsten) oder von Menschen, die Flüchtlinge bei sich aufgenommen haben, außerdem Zeitungsartikel und Facebookposts, „Netzliteratur eben“. Auch ein E-Book-Verlag war schnell gefunden und so erschien „Willkommen! Blogger schreiben für Flüchtlinge“ am 2. Dezember 2015 bei mikrotext. Alle Einnahmen des E-Books werden an die ursprüngliche Initiative Blogger für Flüchtlinge gespendet, die das Geld wiederum an verschiedene Hilfsorganisationen verteilt. „Jeden Tag sehen wir neue spannende Artikel, die auch in das Buch passen würden. Wenn es genug Anklang findet, gibt es vielleicht ein Update.“ Der unbestrittene Vorteil digitaler Bücher: Sie können problemlos aktualisiert werden.
von Isabella Caldart (12.01.2016)