Ganz große Oper
Verlagsvertreter sind traditionell ein wichtiges Bindeglied zwischen Verlag und stationärem Sortiment. Neben profunden Marktkenntnissen sind vor allem Empathie und schauspielerisches Talent gefragt. Zumindest war Axel Hundsdörfer mit diesem Dreiklang viele Jahre als Verlagsvertreter erfolgreich.
Für ein Gespräch mit Axel Hundsdörfer sollte man vor allem eines mitbringen: Zeit. Der Mann war drei Jahrzehnte als Handlungsreisender in Sachen Buch unterwegs und ist ein Geschichtenerzähler aus Leidenschaft. Wer also etwas über die goldenen Zeiten der Buchbranche vor dem Strukturwandel erfahren will, ist bei ihm an der richtigen Adresse. Wenn sich der Verlagsvertreter in Ruhestand nicht gerade in seinem österreichischen Feriendomizil befindet – einem schönen alten Holzchalet im Montafon – und dort wechselnde Gruppen aus debattier- und wanderfreudigen Buchhändlern, Verlegern, Literaturkritikern und Autoren bewirtet, empfängt er seine Gäste in seiner Frankfurter Wohnung am Berger Hang. Zwischen Bücherwänden und diversen Bücherstapeln hat man zur blauen Stunde die Wahl zwischen Whiskey, Rotwein oder Espresso.
Fragt man ihn nach dem Leben als Verlagsvertreter, gerät er ins Schwärmen und erzählt von den vielen Branchenkollegen, die er in den 1980er- und 1990er-Jahren kennengelernt hat. In der Zeit, als die Branche noch nicht von Onlinehandel und Großflächenfilialisten dominiert wurde: Unvergesslich seien die lange Nächte beim Eichborn Verlag, für den er fast 30 Jahre als freier Verlagsvertreter gearbeitet hat, und den er zwar nicht de jure, aber de facto mitbegründet hat, wie er sagt. Unvergesslich seien die langen Nächte während den Programmkonferenzen: „Das hatte schon was, mit Ikonen der Gegenwartsliteratur wie Hans Magnus Enzensberger und Bücherwahnsinnigen wie dem beeindruckenden Vito von Eichborn weinselige Literaturdebatten bis in die frühen Morgenstunden zu führen.“ Und auch auf seinen Reisen zu den Buchhändlern, zu denen er oft eine langjährige Beziehung pflegte, habe man nicht selten bis spät in die Nacht in ausgesuchten Restaurants gesessen und sich über Gott und die Welt ausgetauscht. Ganz zu schweigen von der Buchmessezeit: „Das war immer ein ganz spezieller Trip!“ Ach ja, früher …
Aber wie hat eigentlich alles angefangen, mit der Karriere von Axel Hundsdörfer? Es war Ende der 1970er-Jahre in der Studentenstadt Freiburg. Dorthin hatte es ihn verschlagen, nachdem er seine Heimatstadt Göppingen verlassen und in München bei Hugendubel eine Buchhändlerlehre angefangen, aber nicht abgeschlossen hatte und sich lieber das wilde Berlin angeschaut und sich als Sänger und Gitarrist in einer Band versucht hatte. Nach Abschluss seiner Lehre arbeitete er als Buchhändler, als eine ältere Dame – Verlagsvertreterin mit Chauffeur – ihm und seinem Freund das Angebot machte, einen Teil ihres Gebietes zu übernehmen. Die Freiheit, das Herumreisen und die interessanten Kontakte reizten und die beiden sagten zu. Das Geschäft lief bestens und auch die Verdienstmöglichkeiten waren gut: Acht Prozent vom Nettowarenwert blieb den Vertretern. Und auch an allem, was in dem betreffenden Gebiet über den Zwischenbuchhandel ging, war man mit vier Prozent beteiligt. Obwohl auch das Leben teuer war – großes Auto, Hotels und Restaurants –, hatte Hundsdörfer immer ein auskömmliches Einkommen. Die Saison begann im Januar mit der Frühjahrsvorschau und lief bis Ostern. Im Juni ging es mit der Herbstvorschau weiter, die bis September im Handel vorgestellt wurde. Täglich waren das in der Regel vier Läden: zwei am Vormittag und zwei am Nachmittag.
Für Hundsdörfer war es immer wichtig, nicht fest bei einem Verlag angestellt zu sein – „schon aus psychologischer Sicht“. Meistens hatte er neben dem Eichborn-Programm auch Bücher anderer Verlage dabei, etwa von Beltz oder Campus. Ungefähr zwei Monate vor Reisebeginn kamen die Vertreter in den Verlagen immer zur Vertreterkonferenz zusammen, um die Neuerscheinungen zu besprechen. Durch die Marktkenntnisse der Außendienstler konnte es gut sein, dass es noch zu Änderungen bei der Covergestaltung und der Auflagenhöhe kam. Außerdem wurden die Marketingaktivitäten besprochen, was wichtig für die Argumentation im Verkaufsgespräch ist. Im Anschluss produzierte man die Verlagsvorschauen und verschickte sie zusammen mit den Leseexemplaren. Diese Pakete finden bis heute ganz unterschiedliche Beachtung bei den Buchhändlern: „Einige sind bestens vorbereitet und wissen schon ziemlich genau, was sie wollen. Andere ignorieren das Material völlig und verlassen sich ganz auf die Beratung der Vertreter“, erklärt Hundsdörfer. Doch egal wie die Händler ticken, es sei immer ein persönliches Geschäft und man sollte als Vertreter in der Lage sein, sich auf ganz unterschiedliche Menschen einzustellen. „Und bei aller Beratungskompetenz muss man eben schon auch Lust am eigenen Umsatz haben, sonst wird das nichts“, macht Hundsdörfer deutlich.
Die Bandbreite der Gespräche in den Buchhandlungen reiche vom reinen Business-Gespräch – etwa welcher Autor demnächst in einer TV-Talkshow sitzt oder in einer Literatursendung besprochen wird - bis hin zu philosophischen Betrachtungen oder dem Austausch über ganz private Dinge, erklärt Hundsdörfer weiter. Wichtig sei, dass der Buchhändler dem Verlagsvertreter vertrauen kann – insbesondere was die Einschätzung der Abverkäufe angeht. Dazu müsse aber der Vertreter das Umfeld und damit die Kunden des Händlers kennen. Hier ist also viel Erfahrung gefragt. Während es früher mehr um Inhalte gegangen sei, würde man sich heute mehr darüber unterhalten, wie sich ein Buch am besten verkaufen lässt. Allerdings muss der Sortimenter überhaupt erst einmal Zeit für einen Vertreterbesuch haben, was heute gar nicht mehr selbstverständlich ist. Ob ein Vertretertyp wie Axel Hundsdörfer, für den jeder Besuch wie ein Spiel oder ein kleiner Theaterauftritt war – im Handel sprach man auch von „ganz großer Oper“ –, heute noch erfolgreich wäre, lässt sich schwer beurteilen. Auch ist ungewiss, ob es mittel- bis langfristig überhaupt noch Bedarf an einer relevanten Zahl von Verlagsvertretern geben wird.
Da stellt sich natürlich die Frage, ob man vor diesem Hintergrund überhaupt noch guten Gewissens den Beruf des Verlagsvertreters empfehlen kann. Wer nur zwei Mal im Jahr die Verlagsvorschauen herunterbeten und anschließend die Bestellungen notieren will, habe sicherlich keine große Zukunft, ist sich der 66-Jährige sicher. Erschwerend käme hinzu, dass die wichtigste Säule seines Berufsstandes fast völlig weggebrochen sei: die mittelständischen inhabergeführten Buchhandlungen in den großen und mittleren Städten. „Sie waren nicht nur eine wichtige Einkommensquelle, sie waren durch ihre individuelle Art des Einkaufs auch wichtige Auskunftgeber für die Auflageneinschätzung der neuen Titel“, erklärt der gebürtige Schwabe. „Die großen Filialisten wie Hugendubel und Thalia lassen sich vor Ort von den Vertretern nur noch über aktuelle Trends und Marketingschwerpunkte informieren, bestellt wird durch den Zentraleinkauf – en gros für alle Filialen, direkt beim Verlag. Was dann noch fehlt, ordert man eben über das Barsortiment, sprich Zwischenbuchhandel.“ Die Vielfalt bleibe dabei natürlich auf der Strecke. Wobei Hundsdörfer den Eindruck hat, dass in die Buchbranche nach etlichen depressiven Jahren wieder etwas mehr Zuversicht und auch Spaß eingekehrt ist. So würden endlich auch wieder im stationären Einzelhandel Erfolgsgeschichten geschrieben: „Der deutsche Buchhandel steht, was seine Kompetenz und sein kulturelles Selbstverständnis angeht, immer noch einzigartig auf der ganzen Welt da“, ist sich der gelernte Buchhändler sicher. „Und durch die Preisbindung haben auch Kleine mit guten Konzepten eine Chance.“ Wichtig sei neben einem soliden kaufmännischen Fundament die Leidenschaft für das Buch. Ein Buchhändler müsse durch Geist, Esprit und Diversität glänzen und kluges auskunftsfreudiges Personal mit guter Menschenkenntnis beschäftigen – das Gegenteil von Weltbild-Filialen, die für Hundsdörfer ein perfektes Negativbeispiel sind.
von Ulrich Erler (23.02.2016)