Überraschungen mit Weißraum
Als 2008 mit weissbooks.w ein neuer Stern am Verlagshimmel aufging, wurde das Wagnis zweier ehemaliger führender Suhrkamp-Mitarbeiter in der Branche eher skeptisch beäugt. Inzwischen hat sich der Frankfurter Verlag mit dem puristischen Design etabliert. Ein Verlegergespräch mit Anya Schutzbach.
Sich mit Anya Schutzbach zu verabreden ist nicht ganz einfach. Die Frau ist beschäftigt. Und selbst wenn man einen Termin fixiert hat, können sich kurzfristig immer noch Änderungen ergeben. Umso erstaunlicher, wie entspannt, offen und verbindlich die Verlegerin dann ist. Und wie aus der vereinbarten Stunde Gesprächszeit dann zweieinhalb werden können. Verabredet sind wir zum Apéro im Frankfurter Hof – im Anschluss an ein Meeting, das sie mit einem italienischen Lobbyisten hat: Buonasera Signora Schutzbach! Mehr internationales Buchbranchenflair geht kaum, zumindest nicht außerhalb der Buchmessenzeit.
Dabei gehört weissbooks.w immer noch zu den kleineren Independent-Verlagen. Und die ehemalige Marketingleiterin von Suhrkamp ist froh, dass es ihren Verlag für Gegenwartsliteratur überhaupt noch gibt. 2008 ist man zwar fulminant gestartet – auf der Leipziger Buchmesse 2009 gab es die Auszeichnung „Newcomer des Jahres“ und im gleichen Jahr den Gründerpreis der Stadt Frankfurt –, aber nach drei Jahren ist der Verlag in eine schwere Krise geraten. Die hatte aber nur bedingt mit dem operativen Geschäft zu tun, so Schutzbach. Es gab vielmehr Probleme im Gesellschafterkreis. Damals stand der Verlag auf der Kippe. „Bis wir uns schließlich – mein Geschäftspartner Rainer Weiss und ich – nach einer durchdiskutierten Nacht dazu entschlossen haben, uns bis über beide Ohren zu verschulden und gemeinsam die Mehrheit der Anteile zu übernehmen.“
Seither gehe es wieder aufwärts. Und das ist auch der Grund, warum der Verlag gerade von einem aus dem ehemaligen Hotel Englischer Hof entstandenen Bürohaus im Bahnhofsviertel ins Ostend umgezogen ist: Der Verlag expandiere und benötige mehr Fläche. Da sei das Angebot für neue Räumlichkeiten im Atelierhaus in der Schwedlerstraße gerade recht gekommen: „Die Veränderung fühlt sich kraftvoll und beflügelnd an“, erklärt Schutzbach begeistert. „Das kreative junge Umfeld, die Nähe zum Main, das Licht und der Blick aus dem sechsten Stock bringen uns richtig Rückenwind. Ich wurde sofort Mitglied im ältesten Schwimmclub Frankfurts, auf den wir hier blicken, und freue mich auf den Schwedlersee im Sommer.“
Überhaupt scheint es das Element Wasser der Verlegerin angetan zu haben. Sie lebt zwar seit über 25 Jahren in Frankfurt, liebt die Internationalität und die Anonymität der Großstadt, hat dabei aber ihre Heimat am Bodensee nie ganz aufgegeben und pendelt fast jedes Wochenende. Das klingt sogar für den Gesprächspartner – selbst ein hart gesottener Badener, der die Natur und das dortige Savoir-vivre zu schätzen weiß, aber auch das Verkehrsaufkommen auf der Autobahn kennt – ein bisschen verrückt. Doch Schutzbach braucht die Provinz mit ihrer Bodenständigkeit als Ausgleich: „Das Leben dort kann so etwas herrlich Anarchisches haben. Etwa wenn ich in der Werkstatt eine Umwelt-Plakette für mein altes Auto bekomme, auch wenn die EU-Richtlinie nicht so ganz erfüllt wird.“ Diese Freundlichkeit und das menschliche Miteinander sind ihr wichtig, ebenso die Nähe zur Schweiz. Kein Zufall also, dass das Design von weissbooks.w aus Zürich kommt. „Anfangs waren wir kompromisslos, vor allem bei der CI“, schaut die studierte Japanologin zurück. „Wir wollten einen eigenwilligen Weg beschreiten und dabei die gewohnten Muster ein bisschen aufwirbeln.“ „Ihr müsst etwas machen, das es sonst nicht gibt“, forderte denn auch der Gestalter Fritz Gottschalk. Dieser Anspruch führte zu dem radikal puristischen Erscheinungsbild des ersten Programms: reine, starke Typographie in hartem Schwarz-Weiß, keine Bilder oder Illustrationen. In der Branche habe man damit zwar ein deutliches Zeichen gegen den Trend gesetzt und innerhalb kürzester Zeit einen hohen Wahrnehmungsgrad erreicht, nur am Point of Sale – also in der Buchhandlung – hat sich das Konzept leider nicht in klingender Münze ausgezahlt: „Käufer, die sich am Regal inspirieren lassen, entscheiden sich für ein Cover, das Emotionen weckt“, so Schutzbach. Deshalb habe man die Covergestaltung weiterentwickelt, ohne der ursprünglichen Linie untreu zu werden. „Inzwischen arbeiten wir mit illustrativen Elementen, ohne aber auf unseren Weißraum zu verzichten.“
Finanzprobleme und Designanpassungen – was auf den ersten Blick wie eine lupenreine Erfolgsgeschichte aussah, scheint nun doch mit mehr Mühsal verbunden zu sein, als es gemeinhin einer romantischen Vorstellung von der Verlegerei entspricht. „Wenn ich gewusst hätte, wie schwer es tatsächlich wird, einen Verlag aus dem Boden zu stampfen, hätte ich es wahrscheinlich nicht gemacht. Das war schon sehr waghalsig in der Rückschau. Umso erfreulicher, dass wir inzwischen so gut aufgestellt sind“, sagt die 51-Jährige. Da es in Deutschland keine Verlagsförderung wie in Österreich oder der Schweiz gibt, was Schutzbach mit Blick auf andere Kulturbranchen wie Film, Theater, Oper und Ballett durchaus begrüßen würde, stellt für die Verlagsmanagerin das Thema Finanzierung auch in Zukunft die größte Herausforderung für Verlage dar. Deshalb arbeitet sie regelmäßig an neuen Finanzierungskonzepten; derzeit wird beispielsweise eine Art Genussscheinmodell entwickelt. „Insgesamt war die Verlagsgründung aber ein Lebenstraum, den wir uns erfüllt haben. Insofern ist es auch enorm wichtig, dass neben allem Wirtschaftlichkeitsdenken unsere Ideale nicht auf der Strecke bleiben. So kämpfen wir mit jedem neuen Verlagsprogramm gegen ein Klima des Wertezerfalls, der Verblödung und der Karnevalisierung unserer Gesellschaft.“ Um in diesem Spannungsfeld von Wirtschaftlichkeit und inhaltlichen Ansprüchen allen Anforderungen gerecht zu werden, kommt sich Schutzbach oft wie in einer Zirkusnummer vor, in der ein Jongleur zwölf Teller gleichzeitig auf seinen vibrierenden Stäben halten muss. Die Gefahr, dabei zum Workaholic zu werden, ist nicht von der Hand zu weisen. Da hilft es natürlich, einen Rückzugsraum „am See“ zu haben.
Damit der Claim von weissbooks.w, „Der Verlag für zuverlässige Überraschungen“, nicht nur ein Slogan bleibt, will Schutzbach offen für neue Einflüsse bleiben und sich nicht nur in geschlossenen Systemen bewegen. So macht ihr neben der Gegenwartsliteratur auch das neu entwickelte Genre ihrer „Debattenbücher“ viel Spaß. „Wir greifen aktuelle Themen auf und suchen kompetente Autoren mit einer entsprechenden Themenagenda.“ Beispielsweise befindet sich im neuen Verlagsprogramm ein Pamphlet gegen die Frauenquote, geschrieben von Mona Jaeger, einer jungen Volontärin bei der F.A.Z. Der Mediziner und SZ-Journalist Werner Bartens polemisiert gegen den Ernährungs- und Fitnesswahn. Und mit Katharina Kuhlmann wurde ein rein veganes Kinderbuch auf den Markt gebracht.
Wichtig für einen relativ jungen Verlag ist natürlich, immer auch an gute neue Schriftsteller zu kommen. Da ist es von Vorteil, wenn man wie Schutzbach und Weiss schon viele Jahre in der Branche tätig und bestens vernetzt ist. So sind Empfehlungen die ergiebigste Quelle für neue Stimmen. Die berühmt-berüchtigten unaufgefordert zugeschickten Manuskripte führen hingegen eher selten zu einer geschäftlichen Verbindung. „Völlig ignorieren kann man sie trotzdem nicht“, meint die Verlegerin. „Auf diesem Wege kam beispielsweise „Die Geliebte des Gelatiere“ zu weissbooks.w – einer unserer bislang am besten verkauften Romane.“ Neben guten Autoren sei der Vertrieb ein entscheidendes Erfolgskriterium für einen Verlag. In diesem Bereich gäbe es zwar immer wieder auch Tendenzen zur onlinebasierten Kommunikation mit dem Handel und auch bei weissbooks.w werde der Onlineshop für den Direktverkauf ausgebaut – aber der Verzicht auf Verlagsrepräsentanten gehe definitiv auf Kosten des Umsatzes und der Reputation. Und so endet das Gespräch wie es angefangen hat, mit dem lieben Geld. Dabei kann man mit Anya Schutzbach doch auch so herrlich über ganz andere Themen sinnieren: Etwa ob eine Verlegerpersönlichkeit wie Siegfried Unseld heute noch zeitgemäß wäre. Und warum ein Name wie Peter Handke beim Buchbranchennachwuchs quasi unbekannt ist. Oder was die Begriffe Heimat und Sehnsucht miteinander zu tun haben. Aber das wäre dann ein ganz anderes Gespräch.
von Ulrich Erler (20.01.2015)