„It’s a gift… and a curse.“
Ghostwriter sind so etwas wie das bestgehütete Geheimnis von Verlagen und Autoren: Sie helfen Buchprojekten auf die Sprünge, die es ohne ihre Schützenhilfe nicht geben würde, und erscheinen in den meisten Fällen noch nicht mal im Impressum. Kein Beruf für ProfilneurotikerInnen – aber für ziemlich nette Leute, wie das Gespräch mit Anne Jacoby zeigt.
Nennst du dich eigentlich Ghostwriter oder GhostwriterIN?
Ich sage einfach „Ghost“.
Wann und wie bist du auf die Idee gekommen, die Bücher anderer Leute zu schreiben?
Ich selbst bin überhaupt nicht auf die Idee gekommen, ich wusste nichts von diesem Beruf. Der Berliner Autor Jürgen Hesse fragte mich nach einem Interview, das ich als Journalistin mit ihm geführt hatte, ob ich Lust hätte, für ihn Bücher zu schreiben. Das habe ich ausprobiert, es ist gut gelungen und hat auch noch Spaß gemacht. Über meinen Freundeskreis sprach sich mein erster Ghostwriter-Job dann herum. Eine Lektorin des Campus Verlags hatte mit meinem ehemaligen Mitbewohner zusammen studiert – so gelangte die Information dann nach Frankfurt. 2002 übernahm ich eine Ruck-zuck-Rettungsaktion für ein Buch eines damals noch nicht bekannten, heute aber extrem erfolgreichen Autors. Nach der erfolgreichen Manuskriptrettung gab mir besagte Lektorin den Status der „Geheimwaffe“.
Würdest du heute anders vorgehen?
Ich würde nichts anders machen. Ich arbeite heute dennoch anders als vor zwölf Jahren, einfach deshalb, weil ich viel mehr Fachwissen angesammelt habe.
Braucht man eine besondere persönliche Verfasstheit für diese Arbeit? Schließlich taucht man ja meistens nicht auf, bleibt quasi unsichtbar – Profilneurosen sind da gewiss unangebracht.
Ich persönlich bin eher introvertiert, vielleicht sogar ein wenig scheu, gleichzeitig aber vor Neugier nicht zu bremsen, wenn es um die Lösung bestimmter Fragestellungen geht. Oder darum, Struktur in ein neues Gedankengebäude zu bringen. Für mich ist es eine perfekte Konstellation, wenn ich mich mit extrovertierten Auftraggebern zusammentun kann, die sich mit einem Thema in der Öffentlichkeit positionieren wollen, das mich ohnehin interessiert. Gleichzeitig bin ich von Natur aus mit einer merkwürdig übersteigerten Empathiefähigkeit ausgestattet. Das ist im Alltag für mich selbst manchmal sehr nervig – für meinen Job ist es wohl aber praktisch. Um Privatdetektiv Monk aus der gleichnamigen Serie zu zitieren: „It’s a gift… and a curse.“
Wenn ein Buch erschienen ist: Liest du Besprechungen? Beziehst du diese auf dich oder auf die Autoren, die auf dem Cover stehen?
In den ersten Jahren habe ich wild Besprechungen gelesen, heute nicht mehr. Denn leider lesen viele Rezensenten das, was sie da rezensieren, überhaupt nicht. Warum soll ich dann deren Texte lesen? Wenn es gute Rezensionen oder sogar Preise oder Notierungen auf irgendwelchen Bestsellerlisten gibt, schicken die Verlage mir die Infos zu. Dann freue ich mich natürlich.
Da ein Ghost ja unsichtbar ist: Wie finden dich Verlage und Autoren überhaupt?
Da gibt es viele Möglichkeiten: Die Autoren kennen sich untereinander und sind gut vernetzt. Da werde ich von einem zum anderen weitergereicht. Zweitens kommt es immer wieder vor, dass eine junge Lektorin aus einem Verlag, mit dem ich schon zusammengearbeitet habe, in einem anderen Verlag Programmleiterin wird. In einem solchen Fall werde ich „mitgenommen“. Dritte Variante: Ein anderer Ghost hat keine Kapazitäten frei und schiebt einen Job weiter. Vierte Variante: Eine literarische Agentur hat meine Adresse in ihrer Kartei. Fünfte Variante: Jemand liest meinen Namen in einem Buch von Hermann Scherer. Es gibt da offenbar ein Buch, in dem er eine Liste von Ghostwritern veröffentlicht hat. Da ich schon so lange als Ghost arbeite, habe ich allerdings gute Stammkunden, die regelmäßig neue Bücher auf den Markt bringen. So bin ich in der glücklichen Situation, dass ich viele Projektanfragen ablehnen kann – und sogar muss.
Wie gehst du bei der Auswahl vor?
Bei einem ganz neuen Autor prüfe ich zuerst, ob ich zu ihm passe. Ich habe festgestellt, dass ich nur dann gut arbeiten kann, wenn das Mindset des Kunden in etwa meinem eigenen entspricht. Das heißt: Aufträge von extrem konservativen Autoren nehme ich nicht an. Auch nicht von solchen, die sich einer einzigen Theorie verschrieben haben, die sie dann mit Zähnen und Klauen abgrenzen und verteidigen. Und auch nicht von solchen, denen es nur darum geht, Standard-Gedanken neu aufzumischen und dann unter dem eigenen Namen noch einmal auf den Markt zu bringen. So etwas finde ich zu langweilig. Am liebsten arbeite ich für intelligente und innovative Autoren, die sich mit ihren Inhalten auch mal auf neues Terrain wagen wollen. Oder neue Genres ausprobieren möchten.
Was machst du auf keinen Fall?
Ich formuliere es positiv: Ich nehme nur Buchprojekte an, deren Inhalt ich vertreten kann. Und ich arbeite grundsätzlich nur für Auftraggeber, von deren Integrität ich überzeugt bin.
Und wie läuft die Zusammenarbeit?
Das genaue Vorgehen mache ich von den Autoren abhängig. Jeder tickt anders, und so bevorzugt auch jeder eine andere Art der Zusammenarbeit. Was vielleicht erstaunlich ist, und was möglicherweise auch nur ich so handhabe: Mit manchen Autoren treffe ich mich für die einzelnen Projekte nicht und ich telefoniere auch kein einziges Mal. Warum? Ich weiß nach einem einzigen, ausführlichen Treffen ziemlich genau wie sie ticken, und muss sie dann für die Folgeaufträge nicht mehr zwingend sehen. Inhalte werden dann nur noch per Mail abgestimmt. Solche Autoren sind froh, dass sie keine Zeit für mich aufwenden müssen und ihr gutes Buch trotzdem bekommen. Andere brauchen sehr viel Zuwendung.
Für mich wichtig: Grundsätzlich arbeite ich nicht nur mit den Autoren zusammen, sondern immer von Anfang an auch intensiv mit dem Lektorat. Je nach Auftrag kläre ich meine Fragen sogar zuerst mit dem Lektorat und erst dann mit dem Autor.
Deine Schwerpunkte, Vorlieben, Abneigungen?
Mein Schwerpunkt liegt in Themen, die auf der Grenze zwischen Wirtschaft und Psychologie stehen. Meine Vorliebe besteht darin, genau solche Themen mit Erkenntnissen aus der Soziologie oder aus der Philosophie aufzumischen und so neue Sichtweisen zu entwickeln. Reine Vertriebs-Themen mag ich nicht so sehr. In jüngster Zeit habe ich auch zum Thema Gesundheit, genauer: Molekularmedizin geschrieben, und zwar zusammen mit meiner Schwester, die Naturwissenschaftlerin ist. Das war dann mal etwas ganz anderes – wunderbar! Im Moment versuche ich, mich mithilfe eines Kurses bei der „Typografischen Gesellschaft München“ in die Kunst der Typografie und der grafischen Gestaltung einzuarbeiten. Meine Idee: Ich möchte nicht nur gute, sondern auch schöne Bücher machen. Dabei merke ich vor allem, dass Karl Valentin wieder einmal recht hat: „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“
Arbeit ist ja nur das halbe Leben – was macht Anne Jacoby noch? Hobbys, Familie, Sport, Kunst...
Ich lebe und arbeite in Frankfurt am Main, ich bin verheiratet und habe zwei schulpflichtige Kinder. Damit sind die Rahmenbedingungen schon ziemlich dicht abgesteckt. Wenn ich Zeit habe, was alle Jubeljahre mal vorkommt, stöbere ich gerne in Bibliotheken oder schaue mir Ausstellungen an, mit einer Vorliebe für Fotografie, Grafik und „angewandte Kunst“ oder Architektur. Ich liebe die Frankfurter Oper und beschäftige mich gerne mit Musik, wobei ich hier einen ganz merkwürdigen Mix an Interessen entwickelt habe: Es beginnt bei Johann Sebastian Bach, geht über zu Minimal Music, dann zu Blues und Rock und endet bei Maria Callas. Das Muster dahinter verstehe ich auch nicht ganz. Es ist vielleicht meine Leidenschaft für gut gebaute Strukturen einerseits und mein Hang zu viel, viel Empathie andererseits. Womit wir wieder beim Thema persönliche Verfasstheit wären…
von Christina Mohr (02.12.2014)