„Humor schützt davor, unterzugehen“
Sie schreibt für Kinder und Erwachsene, Sachbücher und Romane, Drehbücher fürs Fernsehen und Stücke fürs Theater – und behält dennoch immer ihren Stil bei. Ein Porträt der Jugendliteraturpreisträgerin Alexandra Maxeiner.
Natürlich kann man am 15. Januar im Orange Peel einfach nur gelegentlich am Wasserglas nippen und zuhören, wie Alexandra Maxeiner Passagen aus ihrem Roman „Unentschieden“ (dtv) liest. Doch an diesem Abend geht es nicht nur um die Liebesgeschichte von Ben und Iris, die im Sandkasten spielten und stritten, in ihrer Pubertät politisch debattierten, also stritten, während des Abiturs knutschten und stritten und nach 20 Jahren Funkstille in einer Radiodiskussion unverhofft aufeinandertreffen und miteinander streiten sollen – sondern auch um die Zeit, in der die Geschichte vorwiegend spielt: die 1980er-Jahre. Also kombiniert Maxeiner das Ganze mit einem musikalischen Ratespiel irgendwo zwischen Nostalgie, Wettkampf und Satire. Sie nennt es einen „interaktiven Abend für diejenigen, die einst mit Bandsalat in den Mixtapes, Karottenjeans und Friedenstaubenbuttons leben wollten oder mussten“.
Manche Autoren tun sich ja schwer damit, dass Lesungen heute oft mehr und anders sein sollen als die klassische Vorlese- plus Nachfragestunde. Zu Maxeiner passt der Quiz-Show-Ansatz. Erstens spielt sie selbst gerne. Zweitens legt sie gerne Musik auf. Und drittens ist sie über die Bühne und die Satire überhaupt erst zum Schreiben gekommen. Während des Studiums in Mainz lieferte sie ihrer Kabarett-Gruppe die Texte. Später verkaufte sie Stücke an das Frankfurter Theater Die Schmiere. Beim hr arbeitete sie für Late Lounge und textete für die damalige Jugendwelle XXL, wobei sie die Figur der Madame Mondieu selbst sprach. Auch das Stalburg-Theater hat Maxeiner-Stücke wie den Rapunzel-Report im Repertoire. Allesamt Texte also, die nicht nur fürs Papier gedacht waren, sondern auf eine Performance zielten.
Daneben arbeitete sie lange Zeit als Texterin für Agenturen. 2004 kam das Drehbuchschreiben als weiteres Standbein hinzu. So stammen mehr als 20 Folgen der ZDF-/KiKA-Serie „Siebenstein“ aus ihrer Feder. Vor sechs Jahren dann bezog sie einen Arbeitsplatz in der Frankfurter Ateliergemeinschaft Labor in Sachsenhausen. Damit kam neuer Schwung in die Sache. Und weil viele Laborantinnen und Laboranten im Kinderbuchbereich tätig sind, rückte auch Maxeiner Richtung Buch und junge Leserschaft.
Die Idee, die sie umtrieb, war ein Sachbuch für Kinder über die Vielfalt von Familienmodellen. „Für mich war das Neuland und ein bisschen Angst hatte ich schon.“ Ihre Sorge: zu didaktisch zu werden und ein angestrengtes Aufklärungsbuch abzuliefern. Doch als „Alles Familie!“ 2010 erschien, war das nicht passiert. Dass liegt zum einen an den Illustrationen von Laborkollegin Anke Kuhl; zum Zweiten daran, dass Maxeiner nun mal schreibt wie Maxeiner. Die Unterzeile zum Buch etwa lautet: „Vom Kind der neuen Freundin vom Bruder von Papas früherer Frau und anderen Verwandten“. Und in ihrem Blick auf die Welt der Familien gibt es mehr als das erwartbare Spektrum von bürgerlicher Vorzeige- über Patchwork- zur Regenbogenfamilie. Es geht auch um die Angst, Opas Nase zu erben, um Ehepaare, die den gleichen Jogginganzug tragen, und die Tatsache, dass in manchen Familien laut gepupst werden darf, während man in anderen dafür besser in den Keller geht. Das Buch wurde schnell Kult und 2011 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet.
Trotz des Erfolgs ist Maxeiner auch den anderen Sparten treu geblieben, dem Theater ebenso wie dem Fernsehen. Warum? „Alle haben ihren Reiz – und ihre Tücken.“ So gefällt ihr, dass sie beim Theater die Reaktionen des Publikums während der Aufführung unmittelbar mitbekommt – beim Buch hingegen oft nicht so genau weiß, wie es in der wenig greifbaren Leserschaft ankommt. Dafür genießt sie die Selbstbestimmtheit beim literarischen Schreiben und die große Freiheit, hier kein Produktionsbudget mitbedenken zu müssen. „Anders als bei einem Drehbuch könnte ich in der Literatur problemlos ein U-Boot auftauchen oder 30 Giraffen auf einer Autobahn entlanglaufen lassen – das kostet ja nichts.“ Ein bisschen ist der Tanz auf mehreren Hochzeiten aber auch eine Art Strategie, als freischaffende Autorin gut über die Runden zu kommen. „Wenn in einem Bereich mal nichts klappt, kann ich mich immer auf die anderen fokussieren.“
Ob es nicht schwierig ist, solch unterschiedliche Formate zu bedienen? Mal für Erwachsene und mal für Kinder zu schreiben? Maxeiner schüttelt den Kopf. „Die Geschichten unterscheiden sich zwar, aber meine Art, sie zu erzählen, bleibt gleich.“ Der Blick auf das Abseitige im Normalen, die Lust am Absurden, die Ironie – letztlich ist der Humor der rote Faden ihrer Arbeit. Und es ist ein Trumpf, der in vielerlei Hinsicht sticht: Das Banale macht er unterhaltsam und das Tragische erträglich, dem Sentimentalen nimmt er das Peinliche und dem Pädagogischen den Zeigefinger. Maxeiner sagt das so: „Solange man etwas noch humorvoll betrachten kann, muss man daran nicht untergehen.“
Eigentlich läuft es aber gerade gut bei ihr. Beflügelt durch den Erfolg von „Alles Familie!“ hat sie weitere Kinderbücher veröffentlicht, ebenso Bücher für Erwachsene. Und sie hat das Drehbuch für den ARD-Weihnachtsfilm „Pinocchio“ geschrieben. Inzwischen ist sie sogar in allen Sparten bei Agenten unter Vertrag. „Ein Segen“ sei das, denn Agenten machen das, was sie nicht gern tut: Akquise betreiben und Verhandlungen führen etwa.
Dass es gut läuft, heißt gleichwohl nicht, dass alles läuft. „Ich schreibe nach wie vor viele Exposés, die im Nichts landen. Da braucht man schon eine dicke seelische Hornhaut.“ Zumindest fallen ihr immer wieder neue Geschichten ein. Und manchmal klappt sogar etwas, was jahrelang in der Schublade verstaubte. Den Roman „Unentschieden“ hat sie bereits vor langer Zeit geschrieben, damals aber keinen Verlag gefunden. Vor drei Jahren holte sie das Manuskript wieder heraus, überarbeitete es und vertraute es ihrem Agenten an. Jetzt liegt das Buch vor und Maxeiner kann 80er-Revival-Lesungen veranstalten. Eines aber würde sie noch glücklicher machen: wenn „Unentschieden“ verfilmt würde, „trotz des Produktionsbudgets“. Aber in dem Roman kommen doch weder ein U-Boot noch Giraffen vor? „Aber er spielt viel in den 80er-Jahren, ist also ein halber Kostümfilm – und so etwas ist teuer.“
von Christian Sälzer (13.01.2015)