Der Lautsprecher der Buchbranche
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels hat seinen Sitz in Frankfurt am Main. Von hier aus setzt er sich für das Buch ein, egal in welcher Form, ob gedruckt oder auch digital. Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis führt seit einigen Jahren den einst schwerfälligen Branchenverband in Richtung Zukunft – mit Elan, Engagement und Leidenschaft.
Sie kommen ursprünglich nicht aus der Buchbranche und waren bis 2005 Abteilungsleiter in der Hessischen Staatskanzlei des damaligen Ministerpräsidenten Roland Koch. Was hat Sie für Ihre jetzige Tätigkeit qualifiziert? Was macht Sie zum Bookster?
Damals bin ich sicherlich auch in die Position gekommen, weil ich unter politischen Gesichtspunkten einen gewissen Nutzen für die Branche stiften kann. Darüber hinaus habe ich aber allein schon von meinem familiären Hintergrund her eine sehr starke kulturelle Neigung und ein großes literarisches Interesse. Und ich muss ehrlich sagen, es macht mir einen riesigen Spaß, mich in meinem Leben für etwas Sinnvolles einzusetzen. Ich vertrete eine Branche, von der ich glaube, dass ohne deren Beitrag eine freie Gesellschaft gar nicht gelingen kann.
Ist Frankfurt für Sie eine Buchstadt?
Ja, Frankfurt am Main ist sicherlich auch die Stadt des Buches. Schon allein wegen der Buchmesse. Das habe ich bereits als Kind bemerkt, wenn plötzlich fremde Menschen bei meinen Eltern zu Gast waren. Es wurde viel und hitzig diskutiert. Überall lagen Bücher herum. Die Straßenbahnen waren mit Fähnchen geschmückt.... Das war schon etwas ganz Besonderes. Ich sag es mal ein bisschen pathetisch: Das ist noch der Geist der freien Reichsstadt, einer Stadt, die sich niemals untergeordnet hat. Und eine Stadt, die seit über 1200 Jahren Messestadt ist und es einfach gewohnt ist, Menschen aus aller Herren Länder als Gäste willkommen zu heißen.
Frankfurt ist für uns auch nicht zuletzt deshalb Buchstadt, weil hier der Börsenverein des Deutschen Buchhandels seinen Sitz hat. Als lokale oder regionale Kulturinstitution spielen Sie indes kaum eine Rolle. Dabei erwartet man heutzutage selbst von Weltkonzernen, dass sie etwas Engagement an ihren Standorten zeigen.
Stimmt, das habe ich auch vermisst. Und deshalb verändern wir das gerade. Mit unserem Umzug in die Brauchbachstraße, in das „Haus des Buches“, haben wir die Möglichkeit geschaffen, ein Fenster zur Stadt zu bieten. Ich habe es immer als Defizit gesehen, dass wir hier in Frankfurt am Main nicht wahrgenommen werden. Das zu ändern haben wir begonnen, und es wird in Zukunft hier sicherlich noch einiges mehr passieren.
Im Börsenverein sind entlang der Wertschöpfungskette Buch alle vertreten: Verlage, Groß- und Einzelhandel. Nur der Wichtigste fehlt: der Autor. Wieso eigentlich?
Wir sind schon so ein Unikum in Deutschland, indem wir immerhin den Großteil einer Wertschöpfungskette abbilden – mit all den Problemen der teilweise sehr unterschiedlichen Interessenlagen, aber auch mit den enormen Vorteilen, die eine gemeinsame Vertretung mit sich bringt. Aktuell entwickeln wir Beteiligungsformen jenseits einer regulären Mitgliedschaft. Denn Sie haben natürlich recht: Autoren sind die geborenen Partner für den Börsenverein, gerade jetzt, da der Strukturwandel Weichenstellungen für eine Interessenvertretung erfordert, um die neuen Chancen für einen vielfältigen und qualitätsvollen Buchmarkt nutzen zu können.
Und noch ein weiterer Player fehlt in Ihrer Mitgliederliste: der größte Buchhändler Deutschlands, gegen den Sie sich gerade als Verband massiv in Stellung bringen. Würden Sie das auch machen, wenn Amazon ein Mitgliedsunternehmen wäre?
Unter einem „Buchhändler“ verstehe ich etwas anderes, Händler wäre wohl der richtige Begriff. Die Mitgliedschaft im Börsenverein verlangt ein Verständnis dafür, dass man gemeinsam am Erfolg eines Marktes, der das Buch sowohl als Wirtschafts- wie aber auch als Kulturgut versteht, arbeiten will. Und Amazon hat dieses Verständnis nicht. Dessen Gründer Jeff Bezos hat gesagt: „Wir müssen Verlage jagen wie Gazellen.“ Er hat die Vorstellung, dass sein Unternehmen der einzige Intermediär zwischen Autor und Leser werden soll, und das heißt im Umkehrschluss, dass er Verlage und Buchhandlungen überflüssig machen will. Dieses angestrebte Modell – also zum Generalmonopolisten in der Buchbranche werden zu wollen – ist diametral entgegengesetzt zu dem, was die Menschen in dieser Branche erreichen wollen. Das wäre auch nicht anders, wenn Amazon eine Mitgliedschaft beantragen würde.
Ihre Kritik ist unter anderem, dass Amazon versucht, in den Verhandlungen mit den Verlagen zu hohe Rabatte rauszuschlagen. Letztlich macht das aber auch schon der Buchgroßhandel. Wo ist der Unterschied?
Selbstverständlich werden die Verhandlungen über Rabatte überall knallhart geführt. Das ist „business as usual“ und nicht zu kritisieren. Aber Amazon überschreitet insofern eine Grenze, als dass es seine Marktmacht nutzt, um andere in die Knie zu zwingen. Das ist das Verwerfliche daran, und das ist kartellrechtswidrig. Amazon verlangt also nicht nur einen bestimmten Anteil für den Verkauf eines E-Books, es boykottiert auch gleich den ganzen Verlag, wenn dieser auf die Forderungen nicht eingeht. Auslieferungen werden verzögert, zum Teil auch ganz verhindert. Neuerscheinungen werden nicht mehr lanciert. Vorbestellungsbuttons fehlen. Und so weiter. Die Verlage können nur noch zwischen Pest und Cholera entscheiden: Entweder sie gehen auf die Forderungen von Amazon ein und ruinieren sich. Oder sie gehen nicht auf die Forderung ein und ruinieren sich genauso.
Sie versuchen einerseits rechtlich gegen Amazon vorzugehen, andererseits wenden Sie sich mit Ihrer Kritik gezielt an die Öffentlichkeit. Was versprechen Sie sich davon?
Ich möchte den Menschen gerne deutlich machen, was die Konsequenzen ihrer Kaufentscheidung sind. Zum einen in Bezug auf das Kulturgut Buch selbst, also auf dessen Vielfalt und Qualität. Zum anderen darüber hinaus in Bezug auf den gesamten Onlinehandel. Denn Amazon baut jetzt Auslieferungslager für den deutschen Markt in Polen. Da verdient der Lagerarbeiter in der Stunde unter vier Euro. Und von dort werden die Bücher dann wieder nach Deutschland gefahren. Darüber müssen die Menschen nachdenken! Was bedeutet das eigentlich ökologisch? Was bedeutet das für die Arbeitsplätze hier? Wie sind die Arbeitsbedingungen der Paketauslieferer? An der Kaufentscheidung hängen sehr viele Fragen und das sollte man nicht einfach so abtun, nur weil es ja so toll ist, sieben Tage in der Woche, 24 Stunden am Tag vom Sofa aus einkaufen zu können.
In einer Kolumne auf netzpiloten.de war kürzlich zu lesen, die Führung des Börsenvereins des deutschen Buchhandels wirke wie „ein Haufen Ewiggestriger, die nicht mehr verstehen können, welche Veränderungen ihre Branche erfassen und daher verzweifelt versuchen, am Status quo ante festzuhalten, denn früher war alles besser.“ Bösartige Polemik oder wahrer Kern?
Da ist jemand ziemlich uninformiert. Das ist schlicht Unfug. Wir begreifen die digitalen Möglichkeiten und das Internet als große Chance für das Buch und die Branche und wollen Veränderungen mitgestalten. Wir initiieren Innovationsprojekte wie protoTYPE, Arena Digital, organisieren Zukunftskonferenzen und BuchCamps und binden damit auch die „jungen Wilden“ und die erfahrenen Branchenexperten gleichermaßen ein. Wir gestalten Entwicklung und nutzen dafür die Kraft und den Einfallsreichtum von engagierten Menschen auch außerhalb der Branche. Und wir lernen auch viel von Amazon. Die Investitionen in unserer Branche für Digitalisierung und Multi-Chanel-Strategie, aber auch die Besinnung auf unsere Kernkompetenzen sind beachtlich. Sie beginnen sich auszuzahlen. Der Kunde schätzt die Leistungen des stationären Sortiments was physische Beratung, Kulturvermittlung, Einkaufserlebnis und sofortige Verfügbarkeit von Waren betrifft ebenso wie die jeweiligen Onlineangebote der Buchhändler. Der Buchhandel ist auf dem Weg zum Vorbild für den Einzelhandel.
von Martin Schmitz-Kuhl (26.08.2014)